Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
Herzschlag dagegen war schwach und unregelmäßig. Blut hatte ihre
Bluse durchtränkt, sehr viel Blut, hauptsächlich im Lendenwirbelbereich. Es
quoll aus multiplen Wunden.
Gwen zog ihren Jungen in den Arm und strich über
Madeleines feuchte Stirn.
„Alles wird gut, Jonah. Du hast sie nach Hause
gebracht.“
Theo! Beth!
Einundzwanzig
Montag, 07. Januar 2013
„Was soll das heißen, wir gehen nach Rio?“ Nika setzte
sich in Teresas Bett auf. „Rio de Janeiro? Was sollen wir da?“
Sie erinnerte sich an alles. An den Schuss, den
Rebecca Lance auf sie abgefeuert hatte und daran, dass Daniel ohne ein Wort
gegangen war.
„Du musst deine Fähigkeiten trainieren.“
„Kann ich das nicht hier? Zu Hause? Und wie soll das
Ausbildungsprogrammüberhaupt aussehen?“ Nika zog die Decke bis ans
Kinn.
„Es wird natürlich unbequem und anstrengend.“ Julian warf
ihr einen Stapel Kleidung aufs Bett. „Aber du hast ja jetzt das Zeug dazu.“
„Warum Rio?“
„Weil Rio ein geeigneter Unterschlupf ist. Die Stadt
bietet alles, was wir zu Übungszwecken brauchen.“
Alles, was sie zu Übungszwecken brauchten? In Julians
Welt konnte ‚alles’ problemlos auch ein Menschenleben sein. Aber Nika hatte
nicht vor, mit Dr. Evil um die Weltherrschaft zu ringen.
„Na los, raus aus den Federn.“
„Ist ja gut!“
Sie brummte ungnädig, stand aber auf. Jeans und
T-Shirt. Mehr brauchte sie nicht? Eine Dusche zum Beispiel?
„Ich möchte hier bleiben, Jewels. Zumindest, bis
Maddie wieder auf den Beinen ist.“
„Das kann dauern, Liebes.“
Nika ließ den Kopf hängen.
„Jonah hat es geschafft, seine Fähigkeiten zu
aktivieren. Wieso schafft sie es nicht? Sie müsste sich selbst heilen können.“
„Früher oder später wird sie das. Fertig?“
„Ja, doch!“ Nika zerrte an dem unbekannten, kurzen
T-Shirt herum. Eindeutig Elfengröße. „Kommt Tess mit uns?“
„Sie hat etwas zu erledigen“, murmelte Julian und
streckte den Arm nach ihr aus. Nika wich zurück.
„Jewels, ich brauche wenigstens mein iPhone, um mit
Tess in Verbindung zu bleiben.“
„Nein.“
„Wieso nicht?“ Kein Kamm. Sie fuhr mit den Fingern
durch das kurze Haar. „Telepathie funktioniert auf diese Entfernung nicht, ganz
zu schweigen davon, dass ich das noch gar nicht kann. Und was ist mit Kitty?“
„Der kleine Vielfraß hat dich längst vergessen.
Vermutlich hat die Köchin deiner Kitty gezeigt, wie man den Kühlschrank öffnet.
Alles was du in nächster Zeit brauchst, ist, was du am Leib trägst. Du musst
dich jetzt auf deine Fähigkeiten konzentrieren. Je eher du sie beherrschst,
desto besser. Wir müssen auf so ziemlich alles vorbereitet sein und wissen,
welche Grenze du zu überschreiten fähig bist.“
Grenzen überschreiten. Nika fühlte sich, als stünde
sie schon ganz am Abgrund. Sie schloss die Augen und wartete auf die kurze
Schwerelosigkeit, die das Beamen begleitete.
Als sie die Augen wieder öffnete, stand sie in der
Dunkelheit, aber ihre Augen gewöhnten sich schnell daran. Nika konnte alles
klar erkennen. Es war, als hätten die Farben sich nur unter einem leichten
Schleier versteckt. Oder es gab einfach keine, an diesem trist grauen Ort. Sie sah
sich in der winzigen Hütte um, in der sie mit Julian gelandet war und in der es
eigentlich absolut nichts zu sehen gab.
Die Luft roch nach feuchter Erde. Kein Stuhl, kein
Tisch, nicht einmal ein Bett stand drin, nur festgestampfter Lehmboden unter
ihren Füßen. Eine zerbrochene Glühbirne, die noch von der Decke hing. Flachdach
und Wände aus Wellblech.
„Willkommen zu Hause.“ Julian schob die Hände in die
Taschen.
„Danke, setz dich doch.“ Sie versuchte, zu grinsen.
„Leider hat der Hund die Häppchen gefressen.“
Da es mit dem Grinsen sowieso nicht klappte, gab sie
den Versuch wieder auf. „Dad, wo sind wir?“
„Ein bisschen außerhalb der Stadt. In einer der
Favelas.“
Regen trommelte gegen das dünne Dach. Nika schluckte. „Was
genau soll ich hier tun?“
„Schlaf dich erstmal aus“, schlug Julian vor und warf
einen Blick auf seine Uhr. Er war in Aufbruchstimmung. Und sie kurz davor, in
Panik zu geraten.
„Ich bin nicht müde.“ Sie brauchte zumindest einen
Fernseher, sonst würde sie durchdrehen. Sie dachte sowieso schon nur an ihn. An
den Mörder.
„Du könntest die Gelegenheit nutzen und dein
Portugiesisch auffrischen“, schlug Julian vor.
„Mein Portugiesisch ist einwandfrei.“
„Na, dann wirst du dich auch
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