Essenz: Band 1 [Das Blut der Götter] (German Edition)
nicht Nikas, auf Speck und
Rührei, und, meine Güte, auf das Mädchen.
Aufgeschreckt und angeekelt schob Nika die fremden
Gelüste aus ihrem Kopf. Es wurde Zeit, hinauszugehen und einen ersten Hofgang
zu machen. Das sahen die Menschenrechte so vor, oder? Ein Freigang pro Tag. Nur
war sie ja kein Mensch mehr, sondern ein Wesen, das nicht wusste, ob es sich
vielleicht doch von Blut ernähren würde, wenn es welches roch. Deshalb
verzichtete Nika nun schon seit Wochen auf frische Luft.
Was, wenn Julian sich täuschte und ihr umgewandelter
Körper dieses Menschenenzym doch brauchte? Was, wenn sie es irgendwo witterte, wie
ein hungriger Wolf? Was, wenn sie den Kopf verlor und jemanden anfiel, der
nichts ahnend an ihr vorüberging? So war es eben manchmal mit den Mischblütern.
Sie lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Freitag, 22. Februar 2013
Nika liebte Süßes. Ob das nun genetisch war oder von
Teresa anerzogen, sie genoss das zuckertriefende Gebäck, das sie auf einem
Pappteller aus Istanbul herangebeamt hatte. Der 1900er Château Margaux aus
Julians Weinkeller war aber auch nicht schlecht.
Als er in ihrer Hütte erschien, wunderte Nika sich
nicht.
„Ach!“ Sie schluckte herunter und lächelte ihn an. „Du
hast meine Nachricht gefunden!“
„Du hast sie mit Lippenstift auf den Spiegel in meinem
Bad geschmiert, Liebes. Da konnte ich sie nicht übersehen.“
Ich schulde dir 20 Pfund und eine Flasche französischen
Fusel, Daddy.
Der Originaltext hatte einmal anders gelautet;
Ich schulde dir einen Satz neuer Reifen, du treuloser
Hund. Und im Original war er
natürlich nicht auf Nikas Mist gewachsen.
„Hättest du mir ein Telefon erlaubt, dann hätte ich
nicht den Spiegel benutzen müssen. Aber ohne Telefon war ich gezwungen, meine
Nachricht an dich auf anderen Wegen zu übermitteln. Und da du dir normalerweise
die Zähne putzt, bevor du ins Bett gehst….“
Zugegeben. Sie hatte ihn ärgern wollen.
Julian hatte ihr nicht einmal andeutungsweise erklärt,
was sie von ihren neuen Fähigkeiten zu erwarten hatte. Die fremden Stimmen in
ihrem Kopf, die fremden Gefühle in ihrem Körper. Von der Einsamkeit ganz zu
schweigen.
Seit über einem Monat hockte Nika schon hier, und er
war nicht ein einziges Mal vorbeigekommen, um nach ihr zu sehen. Da hatte Nika
sich an diese Lippenstiftnachricht erinnert, die irgendeine seiner vielen
Gespielinnen Julian auf die Windschutzscheibe seines heißgeliebten Jaguars
gemalt hatte.
Und er erinnerte sich auch.
Er blickte auf den Wein.
„Du kommst also voran“, stellte er fest und grinste.
Ja, er konnte wirklich einstecken.
„Und wie. Ich war in Istanbul. Ich hatte Heißhunger,
weil Maria, drei Hütten links unter meiner, Schmalzkringel für ihre Kinder gebacken
hat. Leider hast du vergessen, mir etwas Geld dazulassen, Jewels. Aber ich
musste dringend etwas gegen diesen Geschmack von Bier in meinem Kopf
unternehmen, der einfach immer wieder zu mir zurückkehrt. Das liegt an dem
Blödmann, zwei Hütten rechts. Ich weiß noch nicht, wieso ausgerechnet der sich
nie lange ausblenden lässt.“ Nika biss in ein frittiertes und in Sirup
ertränktes Teigröllchen und kippte einen Schluck Wein hinterher. Aus der
Flasche natürlich. Es war ja kein Glas da.
Julian nickte zufrieden. Er klatschte in die Hände.
„Bravo!“
„Kann ich jetzt wieder nach Hause?“ Sie warf einen
Blick auf ihre staubige Hose und die zuckerverklebten Finger. „Ich könnte ein
heißes Bad vertragen.“
„Noch nicht. Ich möchte, dass du ein paar der Nachbarn
persönlich kennenlernst, jetzt da du ihr ganzes Leben vor deinem inneren Auge gesehen
hast.“
Nika verzog das Gesicht.
„Du meinst sicher nicht die nette Oma, die von allen
nur Alte genannte wird, oder?“
„Geradezu unheimlich, dein sechster Sinn. Als könntest
du Gedanken lesen.“ Julian lächelte. „Nein, die nette Oma meine ich tatsächlich
nicht. Ich dachte eher an die Jungs, die mit Pistolen spielen.“
Nika sah erschrocken zu ihm auf.
„Damit ich wieder angeschossen werde? Noch mal?! Ich
weiß noch ziemlich gut, wie weh das tut, und mir ist nicht nach einer
Wiederholung. Außerdem habe ich keine Ahnung, wie ich mal eben eine Schusswunde
selbst heilen kann.“
„Ach.“ Julian winkte gelangweilt ab. „Das geht von
ganz allein. So wie alles andere auch. Aber du musst lernen, echte Hemmschwellen
zu überwinden.“
„Also soll ich mit diesen Halbwüchsigen kämpfen?“ Nika
wischte sich die
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