Esther Friesner
wütend. »Auch wenn wir früh am Morgen sterben müssen, wünscht’ ich mir doch zuvor noch einen guten Schlaf.«
»Ach, schnall die Zunge ab«, knurrte Scandal. »Wenn er könnte, würde er es schon ausschalten, das weißt du auch.«
»Nein, das würde ich nicht«, warf ich aus meiner Ecke in dem kleinen blauen Pilzhaus ein. (Tatsächlich gibt es im Innern eines Pilzes gar keine Ecken, aber ihr wißt schon, wie ich es meine.) »Wenn ich es im Griff hätte, wie ich ständig von dieser dämlichen Magik aufleuchte, würde ich sie so hell erglühen lassen, daß es dir die Augenlider wegbrennt.«
»Da ist wohl jemand im falschen Pilz aufgewacht«, bemerkte Scandal und bedeckte die eigenen Augen mit den Pfoten.
Grym grunzte und wälzte sich auf die linke Seite, wobei er alle Decken an sich riß. Das war mir egal; Welfie-Decken bestanden nur aus Spinnweben und taten einen Teufel, einen warmzuhalten. Die Kissen, die die Welfies ihren Gefangenen gaben, waren auch nicht viel besser: die runde gelbe Mitte einer Tagesaugenblume. Jedesmal, wenn ich den Kopf senkte, bekam ich die Nase voll Pollen und mußte niesen wie verrückt.
Ich schlang die Arme um die Knie und wünschte mir, daß ich wüßte, wie spät es sei. Mein Verstand sagte mir, daß es Zeit sei, darüber nachzudenken, wie man den Welfies entfliehen könne; meine Füße meinten, es sei an der Zeit, lieber loszulaufen und erst hinterher nachzudenken; und mein Magen meinte, es sei Zeit fürs Frühstück. In der Zwischenzeit fand meine Magik, daß es Zeit sei, mir eine Beleuchtung zu verpassen wie einem Mondfisch. Tief im Innern des Furchtbaren Walds von Euw ist die Zeit ziemlich relativ.
Ich hatte noch nie etwas für Relationen übrig.
Scandal und Grym schliefen schon wieder. Ich begriff nicht, wie sie einfach so wegpennen konnten, da wir doch am nächsten Tag umgebracht werden sollten. Vielleicht waren sie aber auch zu dem Schluß gelangt, daß die Welfies ebensowenig bestimmen konnten, wann Tag war, wie wir, und wähnten sich deshalb in Sicherheit. Klar, für den Augenblick waren sie das ja auch, aber selbst ein Welfie kommt irgendwann mal auf den Trichter, daß es irgendwo gerade Tag sein muß.
Und sobald es Tag war, war es aus mit uns. Flucht? Netter Gedanke.
Nur schade, daß sie umöglich war. Seit dem Augenblick, da die Welfie-Bogenschützen über uns gekommen waren, hatten wir dreiundsiebzig verschiedene Fluchtversuche unternommen, einzeln und als Gruppe. Jeder davon war gescheitert. Wenn wir wegrannten, holten sie uns ein. Wenn wir noch schneller rannten, schössen sie mit Pfeilen hinter uns her. Wenn wir die Pfeile ignorierten und weiterrannten, schössen sie Pfeile ab, an denen Schleppnetze befestigt waren, und das hielt uns dann auf. Und auf dieselbe Weise unterbanden sie sämtliche Fluchtversuche, die wir sonst noch auf dem Weg ins Dorf unternahmen.
Ich seufzte und lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Das Pilzhaus war ganz hübsch und schwammig - jedenfalls besser als diese goldstaubigen Welfie-Kissen. Es war zu spät für einen Fluchtversuch, und außerdem war ich zu müde. Vielleicht würde meine Magik mich ja vor irgendwelchen fiesen Überraschungen bewahren, die die Welfies morgen für uns vorgesehen hatten, aber was war mit meinen Freunden … ?
Freunden? Wieso bezeichnete ich Grym und Scandal eigentlich mit diesem Wort? Keiner von beiden mochte mich, jedenfalls nicht wirklich. Sie hingen nur an mir fest, das war alles. Ja, hingen solange an mir fest, bis wir eine Möglichkeit gefunden hatten, daß meine Magik ihnen gab, was sie wollten - Grym ein neues Gesicht, Scandal einen Weg nach Hause. Danach würden sie mich verlassen. Tolle Freunde!
Genau das war es, was ich jetzt hätte gebrauchen können: ein paar Freunde.
Ich war gerade im Begriff, wegzudämmern, als ich dicht an meinem Ohr ein Kratzen an der Wand vernahm. Hellwach fuhr ich auf und starrte in die Dunkelheit hinaus. Die Magik hatte aufgehört, mich leuchten zu lassen, aber plötzlich gab es ein Zischen und Spritzen, und schon flackerte ich wieder los.
»Oooooh«, sagte die Wand. »Wie machst du das?«
Ich berührte die fedrige Oberfläche. »Kannst du etwa reden?«
»Nein«, erwiderte die Wand. Dann kicherte sie. Es war ein recht niedliches Lachen. Jetzt setzte das Kratzen wieder ein.
Nach kurzer Zeit hörte es auf, und die Wand sagte: »Das würde alles sehr viel schneller gehen, wenn du von deiner Seite auch losessen würdest.«
»Was soll ich essen?«
»Das, was direkt
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