Esti (German Edition)
älter als ich, zählte Esti. Dies hat sich als eines der beständigsten Dinge in Estis Leben erwiesen. Mit diesen zehn Jahren ist es immer so, ist es so gewesen, ist es so, wird es so sein. So wird es sein – eine Weile. Dieses »eine Weile« ist, jetzt aber wirklich, Kornél Estis abenteuerliches Leben.
KISZ-Bericht
K ornél Esti ist ein heiterer, geselliger, höflicher Ungar von freundlicher Grundnatur. Ein nützliches Mitglied der Gemeinschaft. Sein Radio ist kaputtgegangen. So hat er sich an die Stille gewöhnt. Hat sich mit ihr arrangiert. Tagelang kein Laut, es sei denn, vom Tejo her zieht ein Sturm auf. Sein eigenes Schniefen (Nasenpolyp?) hört er nicht, das zählt also nicht. Auch die Laute der Natur zählen nicht, so auch nicht der Sturm, insofern korrigiere ich das Obige. Auch die Zikaden nicht. Er ist nicht einsam, nur ist niemand neben ihm. Physisch verstanden. Auch die Stille ist physisch verstanden, nix meta.
Diese Stille beschreibt am genauesten sein Leben.
Auf irgendeine Weise müssten die Zikaden doch zählen. Es würde die falsche Rührung dämpfen, denn die Zikaden sind halt so.
Appendix: Irgendjemand schickte, ohne den Absender zu nennen, leere Briefe an Esti, der sie lang und mit großem Genuss las. Das gehört noch mit zur Stille. Als er der Baroness davon berichtete, schien die von nichts zu wissen. Sie lügt, dachte Esti. Was für ein Trottel Sie sind, kreischte die Baroness fröhlich und schüttelte gespielt den Kopf. Sie sind ein Ochse! Da bin ich hier in meiner ganzen Pracht und Sie lesen leere Briefe? Er sah die Baroness in ihrer ganzen Pracht an, zuckte die Schultern, Komik und Elend, Komik und Elend, so heißt es im Tonio Kröger . Esti zuckte, die Baroness schüttelte, unmöglich, dass das alles ist, ich zucke, sie schüttelt, unmöglich. Sein Herz lebt – – –
Die Sprache der Blumen
E s gab eine Zeit, da fickte Kornél Esti für Geld; doch man müsste das nicht so drastisch formulieren, es könnte die Empfindungen der Nachbarländer und die Großzügigkeit der Babits-Anhänger verletzen. Freilich, sowohl Geld als auch Ficken sind Tatsachen, rein de facto. Die Geldscheine wurden taktvoll auf den Nachtschrank gelegt oder stilvoll in das gerade dort befindliche Buch geschoben. Auch wenn Esti nicht immer Geld erhielt, es kam vor, dass er Urlaubs- oder Essensgutscheine oder Anteilscheine erhielt (oder nur einen Rat, und nichts ist besser als ein guter Rat), und zuweilen entwickelten sich auch kompliziertere Beziehungen, der klassische Ausdruck ist am treffendsten:
Esti wurde ausgehalten.
Puppenjunge zu sagen wäre sowohl zu viel als auch zu wenig. Und selbstverständlich, wenn Puppenjunge, dann auch ficken, dabei würden wir, nicht wahr, dieses Wort gern vermeiden. Das ist schwer, ich schwöre es, schwer. Auch Esti spitzte die Sache nicht auf das Ficken zu, sondern – nun, ziemlich banal auf das Leben, also das übliche aufgeputschte Frauenheld-Geschwafel, dass er sich nur im Schoß einer Frau sicher fühle, nur dort fröstele ihn nicht, dort wisse er überhaupt von sich selbst, dort wisse er, dass er lebe, in diesem heißen Schoß und so weiter, wir haben es zur Genüge gehört.
Setzen Sie sich auf meinen Schoß und wir unterhalten uns, sagte Esti gewöhnlich zu den Frauen, wenn es Frauen waren, denen er das sagte. Auf Portugiesisch kann man selbst in so einer Situation noch ausgezeichnet »Sie« sagen, denn es gibt aus dem dreizehnten Jahrhundert eine Konjugationsform, genauer eine die Konjugation mit der Anrede vermischende Möglichkeit, die gleichzeitig archaisch und wie Jargon klingt, also abhängig von der Klangfarbe (und plötzlich von einigen Namen) mal leicht altmodisch, mal keck unverschämt wirkt, auf alle Fälle aber spielerisch sinnlich.
Für das florierende Geschäft spielte neben dieser sprachlichen Besonderheit, diesem verführerischen Tango von Endlichem und Unendlichem (oder, noch besser, dieser Folia, die, wie wir wissen, ein der Sarabande verwandter Tanz im Dreivierteltakt ist), neben diesem Tanz also spielte es eine wichtige Rolle, dass Esti sich mit ungeheurer Geschwindigkeit ausziehen konnte. Geschwindigkeit ist gar kein gutes Wort, denn für die braucht es Zeit, und Esti fiel dabei quasi aus der Zeit. Jeder in der Zeit, Esti außerhalb. Dieser Ruf verbreitete sich, das gefiel der Kundschaft.
Hinzuzufügen wäre noch, dass sie sich, obwohl Esti jene Schoßunterhaltung aufrichtig versprach, solange sie säßen, sich ineinander hin und her bewegten,
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