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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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Estis Kampf mit der Natur. Morgenschatten bringt Schlaf über die Gebiete, nein. Morgenschatten nimmt das Gesicht der Bäume in Schlafeshand, nein. Des Morgenschattens schlaftrunkene – – – scheiß drauf, Morgen, Schatten, Schlaf, Baum, löst es doch selbst.

Ein großer Siebzigjähriger
    K ornél Esti wurde alt (contradictio in adiecto), womit er gerechnet hatte, er hatte darüber dies und das gelesen, er wusste, dass es kommen wird, wenn es kommen muss, es störte ihn auch nicht sonderlich, abgesehen von der vielen kleinen Scheiße, die ihn seit einiger Zeit tierisch störte, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass auch seine Freunde alt würden, und auch da befremdete es ihn nicht, den heimtückischen Angriff der Zeit mitansehen zu müssen, den herzzerreißend banalen Zerfall der Zellen und Zellzusammenhänge, sondern –
    Sondern über seinem Kopf hingen wie schwarze Wolken, eine ständige Bedrohung die sogenannten runden Jahreszahlen, die Jubiläen (»die durch fünf und zwei teilbaren«), die Fünfzig, dann die Sechzig, um die Fünfundsechzig kommt man mit ein bisschen Glück herum, doch bei der Siebzig und der Fünfundsiebzig hat man keine Chance mehr, da kann man sich nur fügen – dass also seine Freunde oder die, die er schätzte, deren geistige Leistung ihm wirklich etwas bedeutete (oder würde er jetzt nie mehr gestehen können, dass diese Bedeutsamkeit bloß eine theoretische Konstruktion ist, weshalb sie durchaus auch real sein kann), soundso alt wurden.
    Ein Glück, dass schon so viele gestorben sind.
    Esti wusste oder hatte jedenfalls das Gefühl, er konnte vielen Menschen viel verdanken. Das mochte er an diesem ganzen ungarischen Kram am ehesten leiden, diesen Dank. Es konnte in diesem Land gar nicht so viele Idioten geben, dass das Saldo nicht doch positiv gewesen wäre. Saldo, ein schönes, ungarisches Wort, wie Perle, Lilie, Mutter.
    Doch da leuchtete über den schwarzen Wolken Kornél Estis Glücksstern auf. Denn wieder war jemand siebzig geworden, jemand im obigen Sinne, nicht ganz sein Freund, denn die Freundschaft ist konkret, Umarmung und Fußball schauen, trinken, essen, die Freundschaft ist irdisch, alltäglich, kein Feiertagsunternehmen, Pullover, nicht Smoking (aber auch nicht Trainingshose), doch fast sein Freund, Esti tat es nicht nur gut, an diesen Mann zu denken, es war auch beruhigend, denn, und hier kommt der Glücksstern, gerade das Lebenswerk dessen, der da siebzig wurde (bestehend aus dem von ihm Geschriebenen, dem von ihm Gesagten beziehungsweise aus seinem Leben als solchem), war es, das ihn, Esti, nicht nur ermutigte, sondern geradezu ermächtigte, auf die Geburtstagsgrußpflicht, auf dieses dämliche Muss zu pfeifen.
    Nicht dass so ein Gruß notwendig hohl sein muss, ist doch der feierliche Anlass eine gute Gelegenheit, durch beziehungsweise mit Hilfe der Augen des Gefeierten unsere Angelegenheiten, unsere Situation zu durchdenken; der gute Gruß ist kein Schmeicheln, keine Ehrenrunde, sondern ein wahrer Gruß, keine Formalität, sondern Form, keine Äußerlichkeit, sondern existentiell.
    Das ist es! Unser in uns lebender Freund, der konkrete, sagt gerade, beschäftige dich ausschließlich mit den einschneidend wichtigen Dingen, mit dem, was in dein Leben hineinschneidet. Und lass dein Leben so sein, dass diese Dinge, diese Einschnitte möglich sind. Sie sind nicht das Große, Bedeutende und auch nicht ganz das Persönliche. Man muss das von Fall zu Fall zu prüfen. Bei Verstand sein, sagt er zusammen mit einem anderen Freund von uns. In einem freien und unabhängigen Land, sagt er, können wir nicht jeden Tag mit den Worten »Ich bin Ungar!« aufwachen – vielmehr mit den folgenden: »Das und das ist meine Aufgabe, das muss ich machen.«
    Die Würde der Arbeit. Die Würde des Lesens. Die Würde des Schreibens. Auf Leben und Tod.
    Esti sinnierte wie so oft manisch über die Natur der Liebe. Dann wie so oft über die Zahlen. Ist es grauenvoll oder einfach notwendig (das heißt, das Leben ist so), dass dem Gefeierten ein mehr als vierzig Jahre alter, damals als konkretes Tagesprogramm zu verstehender Text, sein eigener Text, plötzlich so vorkommt, als wäre er heute Morgen geschrieben worden? Die Aufgabe ist gestellt, mit dem Geschwätz, mit dem Bluffgeschmetter, das aus den Lautsprechern dröhnt und auf das übrigens außer uns noch niemand hereingefallen ist, muss Schluss sein, Zitat Ende.
    Wie oft habe ich das zitiert. Bin dadurch klüger geworden. Zehn Jahre

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