Esti (German Edition)
verwende nur eine Sprache.
Rausch in der Frühe
O der Esti heiratet. Fritzchen, wenn mich nicht heimtückische und rasende Kopfschmerzen quälten, wenn ich nicht Frau und Kind hätte, wenn mich nicht diese törichte, traditionelle Mann-Frau-Einteilung daran hinderte, nun, dann nähme ich dich auf der Stelle zur Frau, sagte er zu Karinthy. Hier stellte sich die Frage, who’s who, wer ist Frigyes Karinthy, wer ist Esti, doch stelle sie sich nicht. Égi kar inti, frigye s ikerülni fog. (Es winkt eine himmlische Hand, die Ehe wird glücken). Das übersetze mal, Schnuckiputzi, sagte einer von uns und küsste unverantwortlich den Bart des anderen auf den Mund. Ich stand da mit offenem Mund.
Kette in der Frühe
I m besten Fall dachte Kornél Esti an die Gegenwart, als wäre sie Vergangenheit. Die Vergangenheit ist immer ein bisschen schöner. Er erinnerte sich an das dem Hunger verwandte Verlangen, mit dem er nachts die Stadt durchstreift hatte, er war mit der Straßenbahn herumgefahren und hätte die Nacht am liebsten verschlungen. Als er in die Straßenbahn stieg, saßen die beiden jungen Frauen schon neben dem Fenster, zwei auf einem Sitz beziehungsweise die eine auf dem Schoß der anderen. Sie sahen einander schön und ernst an. Esti blinzelte anerkennend zu ihnen hinüber, damals war es noch eine Seltenheit, öffentlich … Er versuchte auf ihren Gesichtern Mut, Unabhängigkeit, Freiheit abzulesen, aber er sah nur Liebe. Die Turmuhr schlug schallend eins. An der Margareteninsel stiegen sie aus oder rappelten sich vielmehr mühsam auf, ungeschickt und auf einmal irgendwie gereizt zerrten sie aneinander; sie waren aneinandergekettet. Ihren Anblick vermag er nicht mehr heraufzubeschwören, nur den der Kette, diesen schweren, verschlossenen, verbittert strengen, rostigen Anblick.
Dort an der Wand
K ornél Esti besaß die Welt mit solcher Selbstverständlichkeit, besaß die Welt so schamlos, genoss so schamlos jede Minute seines (elendigen) Lebens, dass man das nur argwöhnisch zweifelnd mitansehen konnte, ja, zuweilen angewidert oder wütend, denn diese strahlende Lebensfreude erschien nicht selten auch unwillkürlich als Verurteilung skeptischerer, dunklerer oder einfach nur schwächerer Existenzen, als eine nicht offen ausgesprochene Art Vorwurf. Dass dies auch umgekehrt so war, wusste Esti nicht, konnte er auch gar nicht wissen, denn hätte er es gewusst, wäre dieser Vorwurf gegenstandslos gewesen.
Doch das ist vielleicht ungerecht, ich würde also eher sagen: Esti erörterte gern das Leben als solches, und ich ging davon die Wände hoch. Dort an der Wand aber, so Esti auffahrend, ging es dir dann gut, du hörtest gern zu und machtest immerfort Notizen. In der Tat, ich immerforte hier herum in meinem Entsetzen. (»Dezső is Dezső is Dezső …«)
III
DAS OBSKURE DER BEGIERDE
Die Obskuritäten des Briefkastens
Kornél Estis Liebesbrief an Dezs ő Tandori
M ein lieber Dezső! Doch da blieb er stecken.
Kornél Estis Liebesbrief an sein Vaterland
Mein liebes Vaterland! Doch da blieb er stecken.
Werkstattdilemma
So wie Béla Bartók das Volkslied, so wollte Kornél Esti das Volksmärchen benutzen. Es war einmal, doch da blieb er stecken.
Kornél Estis Liebesbrief an Géza Csáth
Lieber Brenner, seufzend begrüß’ ich dich Schlachtfeld, gerötet vom Blute der Helden. Da blieb er stecken, aber – hier blieb ich stecken.
Die Radikalität des Kasselers
Lieber Kornél, Sie sind so sehr Ungar, dass Sie die ganze Welt als ungarisch betrachten, auf gut Ungarisch (Achtung! Wortspiel! – selten sei es vielleicht auch mir erlaubt), Sie fühlen sich überall zu Hause; hier musst du leben, sterben hier, murmeln Sie überall. Ich sage das nicht als Vorwurf, eher bloß so, als seufzte ich plötzlich, ach wie schön ist das Wetter!, einst wird man für dieses kosmische Ungarntum bezahlen müssen und die Zeit wird kommen, da Sie sich mit offenen Armen (Achtung!, schiefes Bild!) nach dem kühlen, reinen Gefühl der Fremdheit sehnen werden, danach, nicht so viel mit denen gemein zu haben, unter denen Sie leben. Selbstverständlich sage ich all das nicht, damit Sie darüber nachdenken, Sie gehen Ihrer Wege.
Lieber berichte ich von meiner neuen Sülzeidee. Was halten Sie davon, Kasseler – jetzt nicht den Brief zerreißen – – –
Die Obskuritäten des Notizheftes
Fragment-Kollektion
M eine Beine sind voller Reif.
*
»sie schlägt mein Blut« (das heißt eine gute Frau; laut freundlicher Mitteilung von I.
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