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Esti (German Edition)

Esti (German Edition)

Titel: Esti (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Esterházy
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Zirkuszahnlosigkeit, besonders wenn ein Kätzchen (Aussprache: Kätzzzchen), dann offenbar … offenbar was? Ist der Satz überformuliert worden? Überkultiviert? Und aber wo ist die Grenze?
    Es führt natürlich nirgendwohin, wenn man sich infolge dieser Gedanken für das Formulieren schämt, denn Scham macht dumm und einen Augenblick lang glaubt man, man könne auch schreiben, ohne zu formulieren. Gleichzeitig drinnen und draußen Mäuse fangen. Jungfräulich ficken. Rein kann man, aber jungfräulich nicht. Quid pro quo; wenn du sprichst, kannst du nicht auf die Erhabenheit der Stille bauen, und wenn du schweigst, kannst du nicht aus Wörtern Kathedralen errichten, auch kein Bordell, und vor allem kannst du nicht erklären, warum von derselben Sache die Rede ist, wäre.
    Die natürliche Versuchung in einer solchen Situation ist die Aufrichtigkeit, doch die Aufrichtigkeit führt als Ästhetikorganisationskraft notwendig zum Schweigen, weil man dann auf alles reflektieren muss (zum Beispiel jetzt: Muss man nicht, beziehungsweise erneute Reflexion, müsste man nicht statt »reflektieren« ein anderes Wort gebrauchen, und wovon handelt dann dieser Satz in Klammern?), und die Reflexion der Reflexion der Reflexion, was nur der Anfang ist, geht mit so vielen Interferenzen einher, dass diese früher oder später einander vernichten, zumindest sind die Harmonien dahin, dahien, und wir sind in der Traufe, bei der Stille oder ihrem speziellen Fall, dem Gebrüll.
    Die Anekdoten über König Mátyás bringen Ordnung in die Welt, es ist, als gäbe es ganz gewiss Gott oder doch zumindest Mátyás, den Gerechten, oder, vom anderen Ende her aufgezäumt, als wären wir gläubig.
    Gläubig zu sein ist wundervoll, denn es ist eine hehre und fortune Sache, bedeutet es doch, dass wir in Gottes Hand sitzen. Wenn wir also vor uns hin starrend in einen unheimlichen schwarzen Abgrund blicken – Hagel hat die Ernte, das Leben vernichtet, den Rest haben Schergen geplündert, oder nicht Schergen, das Schwarze Heer höchstselbst, nichts ist geblieben, nichts, und die Kleinen sind mit Schwarzen Blattern geschlagen –, selbst dann wissen wir, diese tiefste aller Tiefen ist lediglich eine Furche in der großen väterlichen Hand, die uns immer und trotz allem hält, erhält in dem großen Nichts, gegen das wir wieder und wieder laut krachend stoßen.
    Der Glaube ist kein protegierter Elitekindergarten, wo sogar die Erbsensuppe genießbar ist, und wenn wir in die große Gruppe kommen, dürfen wir der Tante Ica von Zeit zu Zeit in den Ausschnitt ihres weißen Kittels gucken, nichts ist garantiert, alles kann passieren, Hagel, Schwarzes Heer, Schwarze Blattern, gläubig zu sein ist eine dramatische, keine Bonvivantrolle. Der Gläubige weiß, sein himmlischer Vater passt auf ihn auf, und falls dieses Wissen verschwindet, weil dieses Wissen mitunter verschwindet, dann weiß er, er hat ein verschwundenes Wissen und ist in der Lage, es zu suchen, und er weiß (manchmal weiß er es nicht), es besteht die Möglichkeit, es zu finden. Wenn dann, in diesem Verschwinden, die Schergen kommen und alles andere, ist das hart. Die Schwierigkeit aber besteht eher darin, dass die Phasen, in denen man über das erwähnte Wissen verfügt und in denen man es verliert, nicht befriedigend voneinander zu trennen sind, deshalb ist es nicht so, dass Zeiten des Jubilierens und der Verzagtheit einander abwechseln, vielmehr ist alles auf einmal. Alles auf einmal aktuell.
    Die Welt der Mátyás-Anekdoten ist also keine Welt des Glücks, sondern eine der Hoffnung. Wer aus dieser Welt stammt, glaubt statistisch erwiesen, er werde, wenn er den unglückseligen Armen an der Ecke (den, vor dem wir gewöhnlich mit gesenktem Blick unsere Schritte beschleunigen) für die Nacht aufnimmt, früher oder später zu Hofe gerufen, um seine angemessene Belohnung zu erhalten, das heißt, Matyi kann auf der sich im Nebel verlierenden fernen Kuppe der feudalen Pyramide sitzen, nein, auf der Spitze, wenn Pyramide, dann Spitze, trotzdem ist es glaubhaft, dass sein fürsorglicher Blick bis zu uns herabreicht. Es lohnt sich also, ein Rätselbuch mit Aufgaben und Knobelfragen durchzublättern, nicht dass unser Leben vom Unglück verfolgt wird, weil wir nicht wussten, wie viel die zweiunddreißig noch sind und ob »weit« noch weit ist (jetzt ja).
    Auf derlei Grübeleien über die Struktur der Welt, die im Kern der bereits mehrmals eingehend behandelten »Der Mensch ist schließlich gut«-Auffassung

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