Esti (German Edition)
kleinen Mädchens begeistern konnte, dass sie an das Wissen glaubte, an die Kraft, den Nutzen des Wissens, sie glaubte an die Wissenschaft, und er mochte und schätzte an ihr ebenfalls, dass sie all das auch von ihm annahm. Claudia Cserkaszegi betrachtete sich als Europäerin, und sie repräsentierte die schönsten Traditionen dieses Europäertums, wenn auch manchmal auf parodistische Weise. Außerdem mochte und schätzte Esti an ihr, dass es für sie nichts als ihre Leidenschaften gab, Kossuth und Flaubert. Wo und wann auch immer Stille eintrat, die Esti zu vertreiben wünschte, musste er nur vor sich hin schnauben – – – Zauberwort – – – Und Kossuth? – und schon ergoss sich die heilsame Cserkaszegi-Rede. Außerordentlich – – – das wird den Meister außerordentlich interessieren, Kossuth wurde nämlich in jenem Jahr schwer magenkrank, er reiste nach Neapel, wo er erfolgreich behandelt wurde. Hier traf er quasi zufällig auf seinen großen französischen Freund, Flaubert, den er immer so genannt hat, »mein großer französischer Freund«. Auf der Rückreise ruhten sie in Rom aus und absolvierten methodisch das »mirabilia urbis«-Programm, sie liefen die Wunder der Stadt ab, so kutschierten sie natürlich auch hinaus zur Via Appia, und dort, bei ihrem Spaziergang, überwältigte sie das heftige und unerwartete Gefühl der Freundschaft, vergessen wir nicht, das ist Flauberts letztes Jahr, und Hand in Hand wie zwei Kinder gingen und fuhren sie weiter. Sehen wir vor uns das Bild? Und taten, was in Rom zu tun allein sich lohnt, nicht wahr, um mit Ady zu sprechen: Ich sehe die Frauen von heute, neue Zeile, die vergangenen und kommenden Zeiten.
Die Professorin glaubte auch an die Tradition. Sie hatte ein Bild von dem Ganzen als lebendem Organismus. In Turin habe ich eine Notiz von Kossuth gefunden, zwei auf Französisch geschriebene Zeilen, und ich würde aus ihnen keine Schlussfolgerungen ziehen oder diese zumindest nicht verbalisieren, denn was er schreibt, ist so schön wie unwahrscheinlich. Ist der Meister nicht neugierig? Esti war immer neugierig auf die Professorin, auch diesmal wird er es sein, obwohl ihm tausend andere Sachen im Kopf herumschwirren – – – eine Sache, in tausend Verkleidungen – – – die Bauchpistole und dass er sich vielleicht von der Baroness trennen müsste; wenn die Baroness ein bisschen weniger egoistisch und ordinär wäre, er hätte es schon getan – – – oder er weiß es nicht – – – sie werden schon über die Hälfte der Strecke hinter sich haben – – – zwischen Bari und Brindisi wird er eine sehr vernichtende Meinung von sich haben – – – er wird keine Worte finden für seine Schäbigkeit.
So lautet, Meister, die erste Zeile, ich bitte Sie, sagen Sie nichts, ich weiß Bescheid: Je regarde les femmes d’aujourd’hui, die zweite Zeile: le temps passé et le temps futur. Das »fütür« werden werden sie schon gemeinsam sprechen. Das Ady-Flaubert-Kossuth-Dreieck – – – auch das ist eine Dimension – – – dieser Dieb wirkte irgendwie ernst – – – nun wird Esti auch schon denken, der Dieb habe ihm lange in die Augen geblickt, und gerade in diesem Blick erkenne er die eigene – – – was denn? – – – dass er unbedeutend ist, die eigene Bedeutungslosigkeit, Unzufriedenheit – – – er ist so lange zwischen den Wörtern umhergeirrt, dass er selbst nur noch ein Wort ist – – – das würde er gern der Baroness sagen, die daraufhin heiser auflachen würde – – – Süßer – – – auf der Stelle würde er die Süße des Lebens spüren.
Ich bin kein Risiko, aber dass sie eins auf die Rübe kriegen, ist konkret!, woher stammt das nochmal? – – – auch das hängt irgendwie mit Trianon zusammen – – – irgendwie mit den Verschwörungstheorien – – – Meister! Man kann nichts machen. Nun, es ist wirklich nicht zu widerlegen – – – weil es nicht zu beweisen ist, weil es nicht bewiesen werden muss – – – dass sich in der Nacht vom 12. August 1849 ein Marsmännchen in das Gehirn von General Görgey eingenistet hat, das ihn tags darauf bei Világos die Waffen strecken ließ – – – die Waffen der Revolution.
Anderthalb Stunden nach der Kapitulation bei Világos wird Esti an der Säule stehen, die das Ende der Via Appia markiert – – – vor ihm die Y-förmige Bucht – – – die anderen besichtigen das Vergil-Haus – – – kleine Wellen werden in Esti wogen – – – als wiederholten
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