Esti (German Edition)
– – meine Frau ist, auch wenn wir schon mehr als ein Vierteljahrhundert hier leben, in einem Haus mit Garten – – – ein Stadtkind geblieben – – – Kirschkerne in den Garten spucken ist verboten – – – in den Garten pinkeln ist verboten – – – ich präzisiere: Vor dem Schlafengehen in der mondbeschienenen Stille des nächtlichen Gartens mit geschlossenen Augen, dösend, träumend, ja, versunken, pinkeln: ist verboten – – – oder zieht doch zumindest Konsternation nach sich – – – mit wem lebe ich zusammen?, mit was für einem Unmenschen! – – – sei es nur ein Barbar, mit was für einem Barbaren! – – – auch der Ameisenproblemkreis löste Konsternation aus, als wäre man sofort in einem Horrorfilm – – – wie Soldaten – – – Rotarmisten – – – marschieren die Rotameisen in der Küche – – – und die geflügelten Ameisen – – – vielleicht wird aus der geflügelten die rote – – – oder umgekehrt – – – oder ist es nur Zufall, dass sie immer gleichzeitig? – – – sie haben einen Pfad, von dem weichen sie nicht ab, das ist wirklich erschreckend – – – oder zumindest aufwühlend – – – ein kleiner Gottesbeweis – – – auch meine Mutter hat sie besprüht – – – vielleicht DDT? – – – meine Mutter und das Dedete, eine Erinnerung – – – bestimmt war das nicht umweltschonend, dafür tötete es ordentlich – – – meine Mutter, die Ameisenmörderin – – – auch sie ist ein Stadtkind geblieben, obwohl sie viel auf dem Land gelebt hat, siehe die Geschichte der kommunistischen Partei – – – genug – – – weder der für immer krepierte Fernseher noch Kirschkerne noch Pinkeln noch Ameisen – – –
Meiner Stadtfrau stand ein derartiges Entsetzen ins Gesicht geschrieben – – – es war so anders – – – es kündete von einem großen Problem, größer als die Ameisen – – – ihr Gesicht war eingedrückt, der Blick war aus ihren Augen gewichen – – – So waren seinerzeit István Eörsis Augen – – – hinten, in der Tiefe der Löcher oder Höhlen anstelle jenes immer funkelnden, immer interessierten, auf alles sich stürzenden, spöttischen Blicks – – – spöttisch und belustigt – – – die Wahrheit selbst bis zur Unwahrheit treibend – Bis zum letzten Augenblick konnte und wollte er den Spott nicht lassen – – – und dieser funktionierte immer, nur am Ende funktionierte er nicht – – – am Ende verändern sich … die Bewegungen – – – wie dann, wenn wir in den Strafraum gelangen – – – die Gesetze werden andere – – – gegenüber dem Tod hilft keine Ironie – – – wessen Blick schon so leer ist, wer schon so unter der Oberhoheit des Todes steht, der ist nicht in der Lage, etwas zu entgegnen – – – zu widersprechen, zurückzubellen – – – zu erwidern – – – und wenn er es tut, nun, dann ist es bedauernswert – – – bedauernswert und lächerlich – – – wenn du gerade gebrochen wirst, wenn du schon gebrochen bist, kannst du nicht grinsen – – – das legendäre Eörsi-Grinsen nach 56 im Gefängnis – – – dieses Grinsen sagte ohne Worte, du bist nicht zu brechen – – – doch im Zustand des Gebrochenseins kann man das nicht erhobenen Hauptes – – – man kann nur warten – – – abwarten.
Misi ist gestorben.
Misi ist gestorben, diesen unglaublichen Satz hatte meine Frau aus dem Hörer gehört, ich sah ihren Augen wie jenen Eörsis an: Als hätten sie etwas gesehen, was zu sehen nicht erlaubt ist. Und nun ist es schon zu spät. Aber wie konnte das passieren, wiederholte meine Frau mit aufgeschrecktem Entsetzen, ich aber murmelte gereizt, die komplette Goldmontur.
Dass man sterblich ist, vergisst man jedes Mal wieder. Wie die Zeit vergeht, macht man kleine Zugeständnisse, und so akzeptiert man am Beginn, am Beginn des Vergehens, dass Unbekannte sterben, weit weg, auf der anderen Seite der Erde, wo die Menschen eh mit dem Kopf nach unten hängen, in Sydney zum Beispiel, dann muss man sehen, dass auch in Cegléd oder Veszprém der Tod wütet, dann in Csepel und der Innenstadt, schließlich stellt sich heraus, dass diese Sache auch die nördlichen Teile Budapests nicht verschont, der Fleischer am Csillaghegy ist gestorben, der immer Markknochen, Lende und auch, aber nur für dich, mein Alter, Kutteln zurücklegte. Und als erwachten wir aus einem Traum, fällt uns dann ein, wie oft wir in unserer Jugend auf dem Friedhof
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