Esti (German Edition)
sich in ihm die Wellenkämme des Meeres – – – des unendlichen Meeres – – – Wie ein riesiger Luftballon – – – Dschinn – – – der runde Kopf des Jungen – – – seine Rübe – – – sie schwebt da vor ihm über dem Meer – – – immer wieder – – – der Ernst – – – der Ernst der Bewegungen – – – wie er die Tasche an sich gerissen hat – – – die Besonnenheit – – – als könne gar nichts anderes passieren – – – Schicksalhaftigkeit?
Schluchzen schüttelt ihn – – – sein Gesicht nass wie ein Sumpf – – – die Banditen von Terracina – – – das Meer, die Säule der Römer, der tote Virgil, die vollen Formen – – – die Tränen fließen sein Gesicht hinab – – – darüber lacht er ein bisschen – – – nicht Liebe und nicht Hass – – – nicht einmal Angst – – – aber ein Riss in der grauen und universalen Gleichgültigkeit – – – auf der Gleichgültigkeit – – – Dieser Junge geht mich etwas an – – – Wenn Sie noch einmal, noch ein einziges Mal an die Menschheit denken – – – an die Brüderlichkeit – – – und nicht an mich, dann lasse ich Sie hier stehen, hört er die missmutige – – – graue – – – Stimme der Baroness.
Mein Gott, wird Kornél Esti da denken, ich war auf dieser Welt – – – Merdscho, was soll das sein, Merdscho?
Zwölftes Kapitel
in welchem Kein bisschen Mátyás (2)
E ines Tages, eines schönen Tages – er hatte in Wein gebadet, sich mit Wurst getrocknet – entdeckte Kornél Esti erneut, dass er mit König Mátyás identisch war. Folglich las ich an meinem Schreibtisch die Anekdoten über König Mátyás, als sich die Tür meines Zimmers öffnete und meine Frau eintrat, nein, eher hereintaumelte, als wäre sie betrunken, doch nicht leicht schlagseitig, sondern wie eine Haubitze. Der Schmerz machte ihr Gesicht, alles an ihr fremd. Ich war nur verärgert. Vorbei war das Schöne, aber nicht der Tag.
Den Wald vor lauter Bäumen, dass man ihn nicht sieht, heißt es. Ohne Bäume aber kein Wald. Die Literatur, selbst die wildeste, hat eine zähmende Wirkung, weltzähmende Ausrichtung, zum Beispiel – vereinfacht und praktisch gesehen – den Schmerz nicht nur auszusprechen, sondern auch lesen zu können, lindert den Schmerz, oder wenn es ihn nicht lindert, so macht es ihn doch erträglicher (das heißt lindert ihn).
Es ist, als würden wir einem wild gewordenen, über seine Ufer getretenen (geschrieben las ich: gebetenen, über seine Ufer gebetenen) rasenden Fluss, der sich gerade anschickt, unser ganzes Leben – inklusive des Hauses, samt Dachziegeln, und der Ziege! – hinwegzuspülen, befehlen, hinter die dramatisch und bürokratisch mit Sandsäcken verstärkten Deiche zurückzukehren; hie und da sickert und sprudelt Wasser hervor, es ist unklar, was wird, auf jeden Fall kriegt man, wenn auch schwer, noch Luft. Mehr als Stöhnen, weniger als Schluchzen. Oder kein Fluss, sondern ein blutrünstiger Tiger, aus seinem Maul hängt ein abgerissenes Bein, überall klebt bräunliches Blut, auch die Tür zum Kinderzimmer steht offen, und die Stille ist überwältigend. Hier weiß ich jetzt nicht sofort, was der Sandsack wäre.
Was verbirgt ein Satz, wenn er gerade aufdeckt, das heißt beschreibt? Über so etwas denke ich gewöhnlich nach, denn mein Leben vergeht damit, dass ich aus allem Sätze mache – der Computer unterstreicht immer das »machen«, sucht ein passenderes Wort; aber wie viel fürchterlicher wäre es zum Beispiel zu schreiben, dass ich aus allem Sätze fabriziere, man würde die Synonym-Manie, den Reich-Formulieren-Anspruch schon von weitem riechen; interessant ist auch (für mich), dass die Maschine mehrmals anmerkt, mein jeweiliger Satz, zum Beispiel auch dieser, sei kein Satz, woraufhin ich jedes Mal, auch jetzt, akkurat, laut sage, immer dasselbe, halt die Schnauze, was ein Satz ist, das bestimme ich! , was zwar nicht ganz stimmt, das aber binde ich der Maschine nicht mehr auf die Nase –, aus allem mache ich Sätze, aus dem Tod meiner Mutter oder der Unmöglichkeit ihres Todes, aus einer Gewehrsalve der Polizei am Donnerstag, einer Elevation am Sonntag und der symbolisch scheinenden Baumkletterei eines kleinen Jungen, doch ich möchte hier nicht arspoetisieren, sage es nur.
Also dass der Satz verdeckt, wenn er aufdeckt. Wie das Alles wenig sein kann. Wenn aus dem Tosend-brüllend-durchbrach-er-den-Deich ein Bächlein wird, aus dem Tiger eine
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