Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
beenden, obwohl Olivia nichts gegen eine Nachtschicht einzuwenden gehabt hätte. Der Gedanke, sich von Lenno trennen zu müssen, gefiel ihr überhaupt nicht.
Nichtsdestotrotz öffnete sie gerade ihren Mund, um sich draußen bei den Fahrradständern von ihm zu verabschieden, da kam er ihr zuvor.
„Darf ich dich vielleicht zu mir zum Essen einladen?“
Freudig überrascht schaute sie Lenno an, der ihr mit seinem unwiderstehlichen Lächeln die Entscheidung augenblicklich aus der Hand nahm.
„Oder haben deine Eltern etwas dagegen?“
Ihr Zögern hatte ihn offensichtlich verunsichert.
Olivia schüttelte rasch den Kopf. „Meine Mutter ist verreist.“ Dabei dachte sie, dass es irgendwie süß war, sie nach ihren Eltern zu fragen.
Er nickte und schien erleichtert über ihre Antwort.
Zügig fuhr Olivia mit ihrem Fahrrad nach Hause und sprang schnell unter die Dusche. Nach dem Umziehen eilte sie die Treppe hinunter, indem sie immer zwei Stufen auf einmal nahm, um nicht zu lange von Lenno getrennt zu sein. Aufgeregt schloss sie hinter sich ab und lief hinüber. Sie klingelte und wartete nervös.
Als Lenno ihr nach einer gefühlten Ewigkeit endlich öffnete, geriet der Rhythmus ihres Herzschlages vollkommen aus dem Takt. All die Vertrautheit, die sich im Laufe des Nachmittags in der Bibliothek zwischen ihnen eingestellt hatte, war mit einem Mal komplett verschwunden, als hätte das Wasser sie beim Duschen einfach abgewaschen und weggespült.
„Warum bist du nicht durch den Garten gekommen? Die Tür hinten war offen.“
Lenno zog seine Augenbrauen verwundert hoch.
„Ich … ich weiß nicht“, stammelte Olivia wahrheitsgemäß und zuckte verunsichert mit den Schultern. Da legte er ihr vorsichtig seine Hand auf den Arm und zog sie ins Haus. Wollte er sie etwa umarmen? Olivia schluckte. Doch er schob sie nur an sich vorbei und schloss die Tür. Selbst als er seine Hand längst weggenommen hatte, brannte seine Berührung auf ihrer Haut. Nervös folgte sie ihm, wobei sie sich unauffällig umsah.
Sie hatte zwar ihr gesamtes Leben ein Grundstück weiter gewohnt, in diesem Haus war sie jedoch bisher nie gewesen. Vereinzelte Möbelstücke standen hier und dort herum, aber eigentlich schlug ihr gähnende Leere entgegen. Lediglich im Wintergarten, der an die Küche angebaut war, stand ein rechteckiger Tisch mit sechs Stühlen. Außerdem war die Küche komplett eingerichtet.
Ein alter Mann mit einem strengen Gesichtsausdruck begrüßte Olivia, den Lenno ihr als Aya vorstellte. Er war sehr klein und hätte Lennos Urgroßvater sein können, so alt wirkte er.
Skeptisch beäugte er Olivia von oben bis unten, bis er schließlich mit einer unerwartet hohen Stimme fragte: „Das ist sie?“
Er schien ihre Anwesenheit vollkommen zu ignorieren, sodass sie Lenno verunsichert ansah.
„Aya, wo sind deine Manieren?“, ermahnte er den alten Mann sofort freundlich, der Lenno kurz mit versteinertem Gesicht anstarrte und sich dann ein wenig verneigte. Diese Geste wirkte auf Olivia äußerst skurril. Und es wurde noch besser! Im nächsten Moment drehte sich Aya in ihre Richtung, reichte ihr die Hand und sagte: „Willkommen in unserem Hause.“
Bei all der Förmlichkeit spürte sie den Drang laut loszuprusten, unterdrückte ihn aber. Stattdessen ergriff sie seine Hand und antwortete lächelnd: „Ich bedanke mich. Willkommen in unserer Nachbarschaft.“
In diesem Moment erstarrte Aya. Seine Augen weiteten sich und er schaute sie ungläubig an. Einen kurzen Augenblick verharrte er in seiner Bewegung, sodass Olivia schon befürchtete, dass er gleich tot hintenüberkippen würde. Er schien sich aber schnell wieder zu sammeln und ließ zügig ihre Hand los.
Hatte ihn ihre übertriebene Höflichkeit so aus dem Konzept gebracht?
Es wurde immer schwieriger, sich das Lachen zu verkneifen.
Zu guter Letzt verneigte sich der kleine Mann vor ihr und verschwand mit einem stechenden Seitenblick zu Lenno wieder an den Herd.
Olivia hatte das unbestimmte Gefühl, im falschen Film zu sein, und sah Lenno mit hochgezogenen Augenbrauen an.
„Er ist alt und manchmal etwas seltsam“, flüsterte er ihr ins Ohr und kam ihr dabei unerwartet nah. Seine Worte, sein Atem auf ihrem Hals, so stellte sie sich einen warmen Sommerregen auf nackter Haut vor.
Irritiert von ihren Gedanken konzentrierte sie sich schnell wieder darauf, Aya dabei zu beobachten, wie er das Essen auf dem Tisch anrichtete. Interessiert sah sie sich die verschiedenen Köstlichkeiten
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