Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
diese steuerte sie zu, um sich dort hinzusetzen und zu überlegen, wie sie es nun am geschicktesten anstellen konnte, die Aufmerksamkeit des Nachbarn auf sich zu ziehen. Währenddessen spähte sie immer wieder neugierig zum Nachbargrundstück hinüber. Bei ihrem Versuch, unauffällig auf der Schaukel sitzen zu bleiben, renkte sie sich fast den Hals aus, während sie daran arbeitete, ihre Position so zu optimieren, dass sie einen besseren Blick auf die Gartentür des Hauses ergattern konnte. Dabei verlor sie das Gleichgewicht, fiel beinahe von der Schaukel und konnte sich gerade noch abfangen. Zeitgleich mit der Landung des Schwungs Kaffee auf ihrer Hose, der bei ihrer Rettungsaktion über den Tassenrand geschwappt war, hörte sie, wie sich drüben die Tür öffnete.
„Olivia?“
Was war das?
Verdutzt hielt sie inne. Woher kannte er ihren Namen?
Schnell stand sie auf und ging ihrem Nachbarn entgegen, denn durch das Rascheln im Laub schlussfolgerte sie, dass er auf die Öffnung im Zaun zuging.
„Hallo?“, rief sie irritiert zurück und wartete gespannt, was passieren würde.
Plötzlich stand Lenno vor ihr.
„Was machst du denn hier?“, fragte sie mit weit aufgerissenen Augen und ließ fast ihre Tasse fallen.
Ihre Frage ignorierend, sagte Lenno schuldbewusst: „Es tut mir wirklich leid, dass ich dich gestern enttäuscht habe.“
Olivia war nicht in der Lage, irgendeinen vernünftigen Gedanken zu fassen. Sie verstand die Welt nicht mehr.
Verlegen wich sie seinem Blick aus und machte eine abweisende Handbewegung. „Pff, egal. War nicht so schlimm.“
Lenno runzelte die Stirn und antwortete niedergeschlagen: „Doch, war es. Jedenfalls für mich.“
Überrascht sah sie wieder in sein zerknirschtes Gesicht.
„Aber ich musste dringend weg. Zu meinen Leuten“, erklärte er.
Olivia nickte und fragte sich sogleich, warum er so seltsam von seiner Familie sprach und wieso er sie besuchen musste. Mit wem war er denn in das Haus gezogen?
Um Zeit zu gewinnen, trank sie einen Schluck aus ihrer Tasse.
„Und du wohnst jetzt hier? Ist das dein Kater, der immer zu uns kommt?“, sprudelten die Fragen aus ihr heraus, nachdem sie den Kaffee hinuntergeschluckt hatte.
Lenno schmunzelte.
Er machte eine kleine Kopfbewegung zu seinem Haus, während er seine Worte offenbar sorgsam wählte. „Ja, ich wohne jetzt hier und man könnte sagen, dass er mein Kater ist. Besser ausgedrückt wäre jedoch: Er hat die Freiheit, bei uns ein und aus zu gehen, wann immer er möchte.“
Olivia fand die Antwort zwar etwas seltsam, dachte sich aber nichts dabei und schwärmte: „Das ist ein toller Kater!“
Lenno lachte kurz auf, senkte seinen Blick und freute sich offenbar sehr über das Kompliment. Währenddessen lehnte er sich mit seiner Schulter an den Zaunpfosten, neben dem er stand, schaute auf einen abgebrochenen Zweig, der sich im Zaun verfangen hatte, ergriff ihn und spielte damit in seinen Händen. Fasziniert beobachtete Olivia ihn dabei.
Als er wieder zu ihr aufsah, fühlte sie sich ertappt und wollte wegschauen. Doch er hielt sie einfach mit seinem Blick fest und machte sie derart nervös, dass sie aufpassen musste, nicht in die Luft zu hüpfen, so wie es ihr Herz gerade in ihrer Brust tat. Lenno schien es ähnlich zu gehen und das erschwerte ihr Stillstehen noch mehr.
Olivia schaute verlegen den Zaun entlang und entdeckte neben dem Haus, wenig sorgsam an die Wand gelehnt, ihr Fahrrad, das sie vor lauter Frust am Vortag dort stehen gelassen hatte.
„Wenn du Lust hast, könnten wir ja heute zusammen in die Bibliothek gehen. Ich habe beim letzten Mal nicht wirklich die richtigen Bücher mitgenommen und wollte sie ohnehin gegen andere austauschen. Außerdem kann ich dort besser arbeiten“, purzelten die Worte unwillkürlich aus ihrem Mund.
Woher war denn diese vorwitzige Idee so plötzlich aufgetaucht?
Olivia hielt den Atem an und hob vorsichtig ihren Blick, um festzustellen, wie er reagierte.
„Ja, das wäre toll! Wollen wir gleich los?“, antwortete Lenno unerwartet und sichtlich erleichtert darüber, dass sie ihm seine Abwesenheit am Vortag nicht übel nahm.
Jetzt saß sie in der Zwickmühle. Eigentlich wollte sie in wenigen Stunden zu Sven und ihrem Vater fahren, aber sie konnte es sich auf keinen Fall entgehen lassen, Zeit mit Lenno zu verbringen.
Nachdenklich trank sie einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und schlug dann spontan vor: „Ok, ich fahre allerdings mit meinem Fahrrad, damit ich die Bücher
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