Eternity
meine, sollten wir ihn nicht einfach töten?«
»Nein, leider nicht«, hatte Lucien geantwortet und sich auf einen von Mary Lous Lieblingssesseln gesetzt. »Meena ist eine Wahrsagerin, weißt du.«
Emil hatte ihn völlig verblüfft angesehen. »Was?«, hatte er wieder gefragt.
Wahrscheinlich hatte er sich ziemlich blöd benommen. Er war ein Jahrhundert jünger als der Prinz und hatte sich nie ganz an die Tatsache gewöhnt, dass er adelige Verwandte hatte. In der Gegenwart des Prinzen wusste er nie so richtig, wie er sich verhalten sollte.
»Sie kann voraussagen, wie jeder sterben wird«, hatte Lucien erklärt. »Menschen jedenfalls. Und wenn ich von ihr getrunken habe, kann ich das auch.«
Er schien nicht besonders glücklich darüber zu sein.
Plötzlich begriff Emil, was der Prinz die ganze Nacht gemacht
hatte. Wie außergewöhnlich. Er hatte noch nie zuvor von einer Wahrsagerin gehört … jedenfalls nicht von einer echten, die wirklich zutreffende Voraussagen machen konnte.
Und dass Lucien jetzt auch die Zukunft vorhersagen konnte … natürlich wäre es besser, er könnte etwas Interessanteres vorhersagen als den Zeitpunkt, wann jemand sterben würde … vielleicht eher den Ausgang von sportlichen Wettkämpfen.
»Auf jeden Fall«, war der Prinz fortgefahren, »hatte Meena die Vision, dass ich ihren Bruder und den Mann der Geheimen Garde töten würde. Also können wir das nicht tun.«
Emil hatte ihn erstaunt angesehen. Der Prinz wollte einen Mann von der Geheimen Garde, der sie bedrohte, nicht töten?
Emil verstand zwar, dass Lucien die Dinge anders regeln wollte als sein Vater. Und normalerweise war es auch klug, Menschen, vor allem Frauen und Kinder, nicht zum Essen zu töten – etwas, was Lord Dracula nie verstanden hatte. Aber wenn eine päpstliche Vereinigung beabsichtigte, die gesamte Spezies zu vernichten, dann war es doch keine gute Idee, sie einfach gewähren zu lassen.
Emil hütete sich jedoch, dem Prinzen zu widersprechen. Dazu war ihm sein Hals zu lieb. »Gewiss, Mylord«, sagte er.
»Aber ich kann nicht zulassen, dass du und Mary Lou in Gefahr geratet«, hatte Lucien weiter gesagt. »Deshalb müsst ihr jetzt packen und gehen. Ich halte es nicht für klug, wenn ihr nach SighiŞoara gehen würdet, ich glaube, dahinter sind sie auch schon gekommen.«
Emil hatte ihm mit wachsendem Entsetzen zugehört. SighiŞoara? Er hatte doch seit Jahrhunderten direkt vor der Nase des Vatikans gelebt. Und jetzt sollte er das alles aufgeben? Nur weil sich der Prinz in das Mädchen von nebenan verliebt hatte? Er sollte nicht bleiben und kämpfen?
»In Ordnung, Mylord«, hatte er jedoch gesagt. Mehr sagte
er normalerweise nie. Aber jetzt wollte er noch etwas anderes sagen. »Und was ist mit deinem Bruder?«
»Was soll mit meinem Bruder sein?« Luciens Tonfall war scharf gewesen.
Vielleicht, hatte Emil gedacht, bin ich jetzt zu weit gegangen. Dimitri würde doch bestimmt bleiben und kämpfen wollen. Und das würde ein Problem.
»Nun …« Emil hatte gewusst, dass er seine nächsten Worte sorgfältig wählen musste. »Ich dachte nur, du möchtest deinen Bruder vielleicht warnen, dass die Geheime Garde in der Stadt ist, damit er und dein Neffe ebenfalls entkommen können.«
»Wenn die Zeit reif ist, werde ich auch meinem Bruder etwas sagen«, hatte der Prinz erwidert.
Emil hatte gedacht, dass er ja nun wusste, woher der Wind wehte. Und in diesem Moment hatte er beschlossen, das zu tun, was der Prinz befahl, nämlich so schnell wie möglich die Stadt zu verlassen.
Und zwar nicht nur, weil ein Mann von der Geheimen Garde nebenan war, der als Unterpfand in einem Bruderkrieg eingesetzt werden sollte …
… sondern auch, weil er in den Augen des Prinzen ein Glitzern bemerkt hatte, das Emil noch nie zuvor gesehen hatte. Und Emil konnte sich denken, wer die Ursache für dieses Glitzern war.
Er würde Meena Harper ab sofort mit anderen Augen sehen. Das hieß, wenn er sie überhaupt noch einmal wiedersah.
Jetzt wandte er sich an seine Frau, die Schuhe in einem anderen Koffer anhäufte, und sagte: »Liebes! Genug. Es gibt auch in Tokio Schuhe.«
Mary Lou blickte ihn mit tränenüberströmtem Gesicht an. »Aber manche besitze ich schon seit vierzig Jahren. Du weißt genau, dass sie jetzt wieder modern sind.«
»Wir kommen doch wieder, Liebling«, sagte er und legte ihr die Hand auf den Arm.
»Bist du sicher?«, fragte sie ihn schniefend.
Emil dachte an den Gesichtsausdruck des Prinzen. Er wusste nicht, was
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