Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Schwangerschaftsabbrüche registriert. Verglichen mit circa 678.000 Geburten im selben Jahr ist das eine hohe Zahl. Trotz aller Möglichkeiten der Empfängnisverhütung kommt es nach wie vor zu einer großen Zahl ungewollter Schwangerschaften. In jedem derartigen Fall stellt sich die Frage, ob das Kind ausgetragen werden soll. Nach der deutschen Rechtslage kann in Konfliktfällen nach einem vorausgehenden Beratungsgespräch dieSchwangerschaft innerhalb der ersten zwölf Wochen abgebrochen werden. Die Möglichkeit der Abtreibung wird erst recht dann erörtert, wenn bei den inzwischen regelmäßig durchgeführten pränataldiagnostischen Untersuchungen eine gesundheitliche Beeinträchtigung des Kindes prognostiziert wird. Unter Berufung auf eine unzumutbare gesundheitliche Belastung für die Mutter kann eine Schwangerschaft in einem solchen Fall auch nach der Frist von zwölf Wochen beendet werden. Wird der Schwangerschaftsabbruch dadurch zu einem regulären Mittel der Familienplanung? Und ist die «Schwangerschaft auf Probe» eine selbstverständliche Konsequenz aus dem heute behaupteten «Recht auf reproduktive Selbstbestimmung» (vgl. Heun 2006: 209)?
Kaum eine ethische Frage ist so umstritten.
«Pro life»
oder
«Pro choice»
heißen die alternativen Positionen in der amerikanischen Debatte. Das Lebensrecht des Embryos von der Verschmelzung zwischen Ei- und Samenzelle an bildet den Ausgangspunkt der einen Position, das Selbstbestimmungsrecht der Mutter stellt den anderen Pol dar. Im einen Fall wird dem werdenden Menschen ein eigenständiges Lebensrecht von Anfang an zuerkannt, im andern Fall wird aus dem Recht auf reproduktive Selbstbestimmung das Recht zum Schwangerschaftsabbruch abgeleitet.
Die Vergegenständlichung des Embryos
Beiden Positionen –
Pro life
und
Pro choice
– ist gemeinsam, dass sie die Schwangerschaft jeweils nur von einer Seite aus betrachten und übersehen, dass es sich bei der Schwangerschaft um ein Lebensverhältnis handelt, in dem diese beiden Seiten stark miteinander verbunden sind (vgl. Kohler-Weiß 2003: 309ff.).
Der werdende Mensch ist ein Teil des mütterlichen Leibes; über viele Monate verfügt er über keine eigenständige Lebensmöglichkeit und hat unabhängig von der Mutter keine Entwicklungschance. Neue bildgebende Verfahren machen den Körper des im Mutterleib entstehenden Kindes jedoch bereits in einem sehr frühen Stadium sichtbar; dadurch wird dieser tendenziell verselbständigt. Im Konfliktfall muss sein eigenständiges Lebensrecht nachgewiesen werden; sein Leben rechtfertigt sich nicht aus seiner Verbindung zu einer Mutter, sondern aus den Ergebnissender Pränataldiagnostik. Aus der Dyade der Schwangeren und ihrer «Leibesfrucht» werden zwei Wesen mit ihren gegebenenfalls widerstreitenden Ansprüchen (vgl. Duden 1991).
Solange die Schwangerschaft als ein Lebensverhältnis betrachtet wird, ergibt sich der Schutz des werdenden Lebens aus der besonderen Verantwortung einer Mutter (und eines Vaters) für das werdende Leben. Wenn die Schwangere und das in ihr entstehende Lebewesen getrennt voneinander gesehen werden, wird die Verantwortung für den künftigen Menschen nicht aus der engen Verbindung zwischen Mutter und Kind, sondern aus dem moralischen Status des Embryos beziehungsweise aus der Selbstbestimmung der Mutter abgeleitet. Der Schwangerschaftskonflikt wird zu einem Konflikt konkurrierender Ansprüche von Mutter und Kind. Nicht mehr das Bemühen um Lebensumstände, unter denen die Schwangerschaft zu einem guten Ende kommen kann, sondern die Frage, ob der moralische Anspruch des Embryos mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren vereinbar ist, rückt ins Zentrum.
Die Vergegenständlichung des Embryos wird nicht nur durch die Pränataldiagnostik vorangetrieben. In dieselbe Richtung wirken auch die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, Embryonen in der Petrischale entstehen zu lassen. Auf diese Weise erzeugt, sind sie dem verfügenden Zugriff von Eltern und Ärzten ausgesetzt. Zwar schreibt das deutsche Embryonenschutzgesetz aus dem Jahr 1990 vor, dass Embryonen
in vitro
nur zu Zwecken der menschlichen Fortpflanzung hergestellt werden dürfen. Deshalb dürfen pro Zyklus auch nur so viele Embryonen erzeugt werden, wie zur Implantation vorgesehen sind, nämlich höchstens drei. Doch dieser klaren Zweckbestimmung der im Reagenzglas hergestellten Embryonen tritt immer stärker der Hinweis entgegen, dass kein Embryo gegen den Willen der Frau implantiert werden
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