Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
Vom Netzwerk:
darf. Dass die reproduktionsmedizinische Maßnahme eingeleitet wurde, weil sich das Paar von ihr die Erfüllung seines Kinderwunsches erhofft, tritt in den Hintergrund. Die
in vitro
hergestellten Embryonen werden als Gegenstände gesehen, über die nun eine Entscheidung zu treffen ist.
    Als Lebensverhältnis ist die Schwangerschaft durch Abhängigsein und Eigenständigsein gekennzeichnet. Eine Schwangere spürt in wachsender Intensität, dass ein anderes Leben in ihrem Körper Raum greift, das von ihr abhängig, aber zugleich nicht mit ihr identisch und in diesem Sinn eigenständig ist. Die Schwangerschaft ist der grundlegendeVorgang, an dem sich zeigt, dass menschliches Leben, so sehr es auf Eigenständigkeit, Selbstbestimmung oder Autonomie zielt, zuallererst dadurch konstituiert wird, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist (vgl. oben S. 26).
Der moralische Status des Embryos
    Die neuere ethische Diskussion geht jedoch überwiegend von der Frage nach der jeweils eigenständigen moralischen und rechtlichen Position der Mutter einerseits, des Embryos andererseits aus. Mit der Entwicklung der Reproduktionsmedizin hat diese Debatte dramatisch an Bedeutung gewonnen. Sie wird oft auf die Frage zugespitzt, ob es sich auf den frühen Stufen des menschlichen Lebens um einen «menschlichen Embryo» oder um einen «embryonalen Menschen» handelt. Wer vom «embryonalen Menschen» spricht und damit auf dem Menschsein von Anfang an beharrt, will schon für die ersten Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens den ungeteilten Würdeschutz geltend machen, der menschlichen Personen zukommt; in der katholischen Morallehre wird deshalb der menschliche Embryo von der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle an «als Person» angesehen und geachtet (Donum vitae I,1; vgl. Gründel 2004: 125). Wer dagegen vom «menschlichen Embryo» spricht, sieht in diesen frühen Phasen zwar menschliches Leben, aber nicht eine menschliche Person; er lässt infolgedessen für diese Phasen nur einen bedingten Lebensschutz gelten. Am moralischen Status des Embryos entscheidet sich nach dieser Betrachtungsweise das Ausmaß des ihm zukommenden Lebensschutzes.
    Während die einen den offenen Anfang der menschlichen Lebensgeschichte betonen und in der Menschwerdung des Menschen einen kontinuierlichen Prozess sehen, verstehen andere ihn als ein durch Zäsuren markiertes Geschehen. Die einen lassen den Würdeschutz damit beginnen, dass ein Lebewesen entsteht, das der Gattung Mensch zugehört und das sich von dieser Entstehung an kontinuierlich entwickelt. Der später geborene Mensch ist mit diesem Lebewesen also von Anfang an identisch, denn es enthält schon die volle Potentialität zu dem später geborenen Menschen in sich. Die leitenden Gesichtspunkte dieser Argumentation sind demnach Spezies, Kontinuität, Identität und Potentialität (SKIP-Argumente;vgl. Schockenhoff 2009: 506ff.). Die anderen berufen sich auf eine Reihe möglicher Zäsuren. Unterschiedliche Einschätzungen biologischer Sachverhalte, aber auch unterschiedliche Interessen entscheiden dann darüber, welche dieser Zäsuren als Beginn eines menschlichen Lebens in dem Sinn angesehen wird, dass es am Würde- und Lebensschutz teilhat.
    Sieben Stufen in der Frühentwicklung des menschlichen Lebens bilden Anknüpfungspunkte für konkurrierende Antworten auf die Frage, von wann an der Mensch ein Mensch ist: die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, die Einnistung in die Gebärmutter am fünften bis achten Tag, der Ausschluss der Mehrlingsbildung um den dreizehnten Tag, die Ausbildung des Gehirns im dritten Schwangerschaftsmonat, die eigenständige Lebensfähigkeit, die Geburt, schließlich der Zeitpunkt im Verlauf der ersten Lebensjahre, an dem sich die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ausbildet (vgl. Huber 2002: 38ff.).
Entwicklung als Mensch oder zum Menschen?
    Diese sieben Stufen in der frühen Entwicklung des Embryos haben für das menschliche Leben eine je eigene Bedeutung. Aber die Zuerkennung der Menschenwürde und eines damit verbundenen uneingeschränkten Lebensschutzes exklusiv an eine der späteren Stufen zu binden, ist mit einem erheblichen Willkürrisiko verbunden. In der Tradition der Ethik ist für solche Fälle die Methode des Tutiorismus vorgeschlagen worden; sie besagt, dass man sich an der Entscheidung orientieren soll, mit der sich eine relativ höhere Sicherheit und damit ein relativ geringeres Risiko verbinden. Am geringsten scheint in diesem Fall das Willkürrisiko bei einer

Weitere Kostenlose Bücher