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Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod

Titel: Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Huber
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Position zu sein, die mit dem offenen Anfang des menschlichen Lebens und seiner organischen Entwicklung argumentiert. Für sie ist die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle der sicherste Hinweis darauf, dass menschliches Leben beginnt. Schon von diesem Zeitpunkt an sollte sichergestellt werden, dass das sich entwickelnde menschliche Lebewesen nicht als Zellhaufen oder Biomasse, sondern als ein frühes Zeichen für das Wunder des menschlichen Lebens betrachtet wird.
    Jürgen Habermas knüpfte an eine solche Überlegung an, als er forderte, den Embryo «in Antizipation seiner Bestimmung wie eine zweitePerson» (also wie einen Menschen, den wir mit «Du» anreden können) zu «behandeln, die sich, wenn sie geboren würde, zu dieser Behandlung verhalten könnte» (Habermas, Zukunft 2001: 120). Gewiss lassen sich Embryonen noch nicht in dem Sinn als «Du» ansprechen, dass man von ihnen eine korrespondierende Anrede erwarten kann; doch sie können schon daraufhin betrachtet werden, dass sie zum Personsein bestimmt sind. Von Personen gilt im Unterschied zu Sachen, dass sie nicht nur einen Wert haben, sondern eine Würde; deshalb dürfen sie niemals vollständig fremden Zwecken dienstbar gemacht werden, sondern stellen einen Zweck in sich selbst dar.
    Jedoch ist mit dieser Überlegung nicht eindeutig entschieden, dass der Embryo sich von allem Anfang an «als Mensch» entwickelt. Man kann vielmehr auch die Position einnehmen, dass er sich in den frühen embryonalen Stufen «zum Menschen» entwickelt. Wer das eher für plausibel hält, übernimmt damit nicht automatisch die Verpflichtung, mit Eindeutigkeit einen Zeitpunkt in der Embryonalentwicklung angeben zu müssen, zu dem der Embryo sich nicht mehr zum Menschen, sondern als Mensch entwickelt. Auch wenn wir den Embryo noch nicht als menschliche Person ansehen und ihm deshalb nicht diejenige Menschenwürde zuerkennen, die mit dem moralischen und rechtlichen Status der Person verbunden ist, bleibt es richtig, ihn im Blick auf seine Bestimmung zur Person zu betrachten. Auch wo wir menschlichem Leben noch nicht einen Namen geben und es damit in seiner Personalität anerkennen, genießt dieses Leben «auch in seinen anonymen Formen ‹Würde› und gebietet ‹Ehrfurcht›» (Habermas, Zukunft 2001: 68).
    Die von Jürgen Habermas angeregte Unterscheidung zwischen «Menschenwürde» und «Würde des menschlichen Lebens» trägt der Einsicht Rechnung, dass die Geburtlichkeit, die besonders von Hannah Arendt hervorgehobene «Natalität», zur Konstitution des Menschen als Person gehört (Arendt 1998: 15f., 243). Zum Menschen als Person gehört, dass er geboren wird. So nachdrücklich man auch von der Teilhabe des vorgeburtlichen menschlichen Lebens an der Menschenwürde reden möchte, kann man doch nicht ignorieren, dass der Mensch durch seine Geburt ins Leben tritt; erst mit diesem Datum werden ihm eigenständige personale Rechte zuerkannt (vgl. Gerhardt 2001: 38ff.). Das berücksichtigt die von Habermas vorgeschlagene Unterscheidung. Sie vermeidet die mit unseren moralischen Intuitionen unvereinbare Gleichsetzungvon Embryonen, insbesondere auf den frühen Stufen ihrer Entwicklung, mit geborenen Menschen.
    Doch diese Unterscheidung eröffnet zugleich den Zugang zu der Verpflichtung, den Umgang mit einem Embryo moralisch an seiner Bestimmung auszurichten, dass er zur menschlichen Person werden soll. Sie begründet, warum Embryonen nicht wie Sachen behandelt werden dürfen, und vermeidet eklatante Wertungswidersprüche, die sich andernfalls bei der Regelung von Schwangerschaftskonflikten, aber auch bei der Zulassung möglicherweise nidationshemmender Mittel der Empfängnisverhütung (wie dem Pessar oder der «Pille danach») ergeben.
    Dagegen, den moralischen Status des Embryos mit dem des geborenen Menschen gleichzusetzen, wird insbesondere eingewandt, dass von den Embryonen, die sich im Mutterleib bilden, ein erheblicher Teil vor der Nidation unerkannt abgeht (Schröder 2012: 273). Gerade dieser Einwand legt nahe, die Statusfrage nicht zu isolieren, sondern sie in eine verantwortungsethische Perspektive einzuordnen. Im Mutterleib entstandene Embryonen gehen ab, ohne dass dies der Frau, in deren Körper sich der Embryo gebildet hatte, bekannt ist und ohne dass sie diesen Vorgang beeinflussen kann. Demgegenüber besteht bei einem in der Petrischale hergestellten Embryo eine ganz andere Möglichkeit zur Einflussnahme. Von einer Schutzverpflichtung kann man nur sprechen, wenn auch

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