Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, seiner Frau eine seiner Nieren. Für sie war diese Organspende lebenswichtig; für ihn handelte es sich um einen Akt der Nächstenliebe. Durch die Lebendspende einer öffentlich bekannten Person wurde die Diskussion über die Organspende neu belebt.
Seit der ersten längerfristig erfolgreichen Nierentransplantation durch den amerikanischen Mediziner Joseph Murray im Jahr 1954 und der ersten Herztransplantation durch den südafrikanischen Herzchirurgen Christiaan Barnard im Jahr 1967 entwickelte sich die Organtransplantation zu einer wichtigen Möglichkeit, Leben zu retten. Viele Kranke warten jedoch vergeblich auf ein Spenderorgan. In Deutschland werden pro Jahr auf eine Million Einwohner nur knapp fünfzehn Organspender gezählt; diese Zahl liegt unter dem Durchschnitt vergleichbarer europäischer Länder.
Frank-Walter Steinmeier konnte seiner Frau durch die Spende einer Niere helfen, weil bei diesem Organ eine Lebendspende möglich ist, da man auch mit einer Niere leben kann. Der allergrößte Teil der Menschen, die auf ein Spenderorgan warten, in Deutschland etwa 8000 Menschen und damit mehr als zwei Drittel, sind auf die Spende einer Niere angewiesen. Doch die Frage, ob durch erweiterte Möglichkeiten der Lebendspende über den Bereich unmittelbarer Angehöriger hinaus der Mangel an Spenderorganen gemildert werden könnte, tritt in der öffentlichen Diskussion weitgehend zurück. Es geht fast ausschließlich darum, wie die Bereitschaft zur postmortalen Spende gestärkt werden kann. Auch in dieser Hinsicht besteht Klärungsbedarf, denn von den11.570 Menschen, die in Deutschland im Jahr 2011 auf ein Organ warteten, erfuhren nur 4054 Menschen Hilfe; die Organe, die ihnen transplantiert wurden, stammten von 1200 Spendern.
In Deutschland gilt für die Organspende neben der Voraussetzung, dass der Spender tot ist
(dead-donor-rule)
, eine erweiterte Zustimmungslösung. In Fällen, in denen der Hirntod – also das Ende aller Hirnfunktionen – festgestellt ist, der Kreislauf aber intensivmedizinisch aufrechterhalten wird, können Organe unter der Voraussetzung entnommen werden, dass die Zustimmung des Hirntoten vorliegt oder die Angehörigen diese Zustimmung in Übereinstimmung mit dessen mutmaßlichem Willen erklären. Für die Organentnahme kommen also nur Hirntote bei aufrechterhaltenem Kreislauf in Frage. Deren Zahl wird in Deutschland pro Jahr mit 4000 angegeben; nur die Hälfte von ihnen wird an Transplantationszentren weitergemeldet. Man muss also annehmen, dass höchstens bei 2000 Personen pro Jahr die Frage nach möglichen Organspenden überhaupt gestellt wird.
Seit Jahren ist die Zahl derer, die sich auf Befragen zur Organspende bereit erklären, höher als die Zahl derer, die dies verbindlich dokumentieren. In neun von zehn Fällen wird darum die Entscheidung von den Angehörigen getroffen. Es ist sinnvoll, wenn durch zusätzliche Initiativen möglichst viele Menschen dazu veranlasst werden, für sich selbst eine Entscheidung zu treffen und diese auch zu dokumentieren. Deshalb wurde die Zustimmungslösung im Jahr 2012 durch eine Entscheidungslösung ergänzt; deren Sinn besteht darin, jeden Volljährigen regelmäßig mit der Frage nach seiner Haltung zur Organspende zu konfrontieren.
Solche Bemühungen können jedoch leicht durch unverantwortliche Vorgänge in der Transplantationspraxis durchkreuzt werden. Wenn, wie es in verschiedenen deutschen Universitätskliniken geschah, die Regeln für die Zuteilung von Organen durch Manipulationen an den Wartelisten verletzt werden, offenbart sich darin ein Wettbewerb, der vor unlauteren Mitteln nicht zurückscheut. Wenn der Eindruck sich verstärkt, dass bei der Beratung von Angehörigen auf die Bereitschaft zur Organspende gedrängt wird, statt dass für deren eigene Entscheidung Raum entsteht, so erweckt auch das Misstrauen. Auf die Bereitschaft zur Organspende haben solche Vorgänge verheerende Auswirkungen.
Neue Herausforderungen der Medizinethik
Die Organtransplantation ist ein Beispiel für neue Herausforderungen der Medizinethik. Doch worin besteht das Neue?
Im fünften vorchristlichen Jahrhundert verpflichtete der griechische Arzt Hippokrates die Ärzte darauf, das Wohl der Leidenden ins Zentrum zu rücken und die eigenen Interessen dahinter zurücktreten zu lassen. Im Einflussbereich des Christentums brach sich, dem Beispiel des barmherzigen Samariters folgend, der Grundsatz Bahn, dem
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