Ethik: Die Grundfragen unseres Lebens von der Geburt bis zum Tod
Wissen immer Stückwerk bleibt. In der Sprache des Glaubens ist es Gott vorbehalten, dem fragmentarischen Charakter menschlichen Wissens ein Ende zu machen: «Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.» (1. Korinther 13,12)
So endlich wie die Freiheit des Menschen ist auch seine Vernunft, die zwar in den Dienst der Erkenntnis gestellt werden kann, aber niemals aus eigener Kraft zu vollkommener, unbegrenzter Erkenntnis durchzudringen vermag. Die Einsicht in die Endlichkeit und Geschichtlichkeit der Vernunft hat zum Siegeszug der neuzeitlichen Wissenschaft entscheidendbeigetragen. Dass Wissenschaft dem Leben dient und nicht über das Leben herrscht, ist eine der Bewährungsproben für diese kulturelle Errungenschaft. Zwischen dem zeitlichen und dem ewigen Leben zu unterscheiden und deshalb auch die Unterscheidung zwischen dem Menschen und Gott im Sinn zu behalten ist deshalb für die Wissenschaftskultur wie für die Kultur insgesamt von größter Bedeutung.
Zu den Perspektiven, die der christliche Glaube zum Nachdenken über die Ethik der Wissenschaft beisteuern kann, gehört die Einsicht, dass die guten Absichten des Menschen sich in ihr Gegenteil verkehren können. Die Verführbarkeit des Menschen kann zur Verkehrung der Wahrheit, zur Stillung persönlichen Ehrgeizes oder zur Instrumentalisierung anderer Menschen führen. Ein sensationslüsterner Umgang mit den Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin bildet dafür ebenso ein Beispiel wie der Versuch, menschliche embryonale Stammzellen zu klonen. Wenn die Abhängigkeit von Mitarbeiterinnen im Labor ausgenutzt oder Frauen Eizellen für Geld abgekauft werden, ist die Grenze ethisch verantwortbarer Forschung weit überschritten.
Die Verführbarkeit von Wissenschaftlern ist historisch deutlich belegt. So fand eine ideologische Rassenlehre in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes auch in die Wissenschaften Eingang. Die Diskriminierung von Juden löste in der Wissenschaft ein beklagenswertes Echo, ja eine höchst wirksame Unterstützung aus. Menschenversuche wurden unternommen, die sich an keinerlei ethische Grenzen hielten, und Vorstellungen von einem «lebensunwerten» Leben wurden auch in der Wissenschaft heimisch. Weil nicht nur durch politisches Handeln die Menschenwürde mit Füßen getreten wurde, sondern auch die Wissenschaft die Würde der Menschen missachtet hat, gehört die Erinnerung daran zu jedem Nachdenken über die Verantwortung der Wissenschaft.
Die Verführbarkeit des Menschen bildet einen elementaren Teil der
conditio humana
. Auch die Wissenschaft ist nicht vor ethischen Anfechtungen gefeit; sie muss vor ihnen durch institutionelle Vorkehrungen, durch die Pflicht zu Transparenz und Publizität und damit durch die Gewährleistung öffentlicher Kritik, schließlich aber vor allem durch die persönliche Verantwortungsbereitschaft und die Gewissensbindung jeder Forscherin und jedes Forschers bewahrt werden. Die Wissenschaft braucht einen klaren rechtlichen Rahmen, eine institutionalisierte Selbstkontrolle sowie die Bereitschaft zur ständigen ethischen Selbstprüfung.
Sich im Leben orientieren
Die Verantwortung der Wissenschaften wird vorrangig im Blick auf die Naturwissenschaften, insbesondere die Lebenswissenschaften, diskutiert. Diese Sichtweise ist zu eng, denn sie verkennt, dass auch die Geistes- und Kulturwissenschaften Lebenswissenschaften in einem präzisen Sinn sind. Sie verhelfen nicht nur dazu, das Leben zu verstehen und zu beeinflussen, sondern auch dazu, sich im Leben zu orientieren. Die Geisteswissenschaften stellen den resultathaft arbeitenden Wissenschaften, aber auch der Gesellschaft, unverzichtbare Reflexionsformen zur Verfügung. Diese sind in einer pluralistischen Gesellschaft, die um eine gemeinsame Orientierung und einen elementaren Konsens in der Vielfalt der Werte ringt, unentbehrlich. Folgerichtig wird deshalb in Deutschland versucht, die Präsenz der Theologien an der Universität um islamwissenschaftliche Kompetenz zu erweitern. Dies ist ein Beitrag neben anderen. Insgesamt muss es darum gehen, dass die Exzellenz von Wissenschaft nicht nur an ihren wirtschaftlich verwertbaren Resultaten gemessen wird, sondern ebenso an ihrer Kraft zur Deutung der Wirklichkeit, in der wir leben und leben werden.
14. Medizin
Gibt es ein Menschenrecht auf Gesundheit?
Im August 2010 spendete der Vorsitzende
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