Etwas Endet, Etwas Beginnt
notwendigen Korrekturen an der Anzahl der örtlichen Ratten und Mäuse vor, weckten die Bewohner der angrenzenden Blöcke mit durchdringendem Geschrei, das Liebe oder blutigen Kampf verkündete. Nachts fühlten sich die Katzen im
Loch
sicher. Tagsüber nicht.
Die Bewohner der Siedlung mochten keine Katzen. Bedenkt man, dass sie die Geschöpfe, die sie mochten und die sie in ihren steinernen Nestern hielten, von Zeit zu Zeit bestialisch zu quälen pflegten, erhielt die Bezeichnung »nicht mögen« in Bezug auf die Katzen eine eigene, finstere Bedeutung. Es kam vor, dass sich die Katzen fragten, wo die Ursache für diesen Zustand liege. Es gab unterschiedliche Ansichten – die meisten Katzen meinten, schuld seien jene, scheinbar bedeutungslosen Kleinigkeiten, die die Menschen langsam, aber sicher töteten und in den Wahnsinn trieben – die spitzen, mörderischen Asbestnadeln, die sie in der Lunge trugen, die tödliche Strahlung, die die Platten verströmten, welche die Wände ihrer Wohnstätten bildeten, die saure, lebensfeindlicheLuft, die ständig über der Stadt hing. Kein Wunder, sagten die Katzen, dass jemand, der am Rande der Vernichtung balanciert, von Giften und Krankheiten zerfressen, Vitalität, Gewandtheit und Kraft hasst? Dass jemand, der zittert, der keine Ruhe kennt, mit Wut und Raserei auf die warme, flauschige und schnurrende Ruhe anderer reagiert? Nein, daran war nichts, worüber man sich wundern musste. Vielmehr musste man wachsam sein, musste fliehen, was die Beine hergaben, was der gestreckte Sprung erlaubte, wenn man am Horizont große oder kleine zweibeinige Silhouetten erblickte. Man musste sich vor einem Fußtritt in Acht nehmen, vor einem Stock, einem Stein, den Zähnen eines losgehetzten Hundes, den Rädern eines Autos. Man musste die Grausamkeit erkennen können, die sich hinter dem durch zusammengebissene Zähne gezischten »Miez, Miez« verbarg. Weiter nichts.
Unter den Katzen waren jedoch auch welche, die meinten, die Ursache des Hasses läge anderswo. Sie sei in den Alten Zeiten verborgen.
Die Alten Zeiten. Die Katzen wussten von den Alten Zeiten. Bilder aus den Alten Zeiten sah man nachts im
Loch
.
Denn das
Loch
war kein gewöhnlicher Ort. In hellen Mondnächten sahen die Katzen Bilder, die nur ihren Katzenaugen sichtbar waren. Neblige, verschwommene Bilder. Reigen von langhaarigen Fräuleins um sonderbare Bauwerke aus Stein, irrsinniges Heulen und Springen um verkrüppelte Körper, die von Holzgerüsten herabhingen, Reihen von kapuzenbedeckten Menschen mit Fackeln in den Händen, brennende Häuser mit Türmen unter dem Kreuzzeichen, das gleiche Kreuz, aber umgedreht, in die schwarze, pulsierende Erde gerammt. Scheiterhaufen, Pfähle und Galgen. Und einen schwarzen Mann, derWorte herausschrie. Worte, die, wie die Katzen wussten, der wahre Name des
Loch
genannten Ortes waren.
Locus terribilis.
In solchen Nächten fürchteten sich die Katzen. Die Katzen spürten, wie der
Schirm
bebte. Dann pressten sie sich flach an den Boden, schlugen die Krallen in den Boden, öffneten lautlos die Mäulchen mit den Schnurrhaaren. Sie warteten.
Und dann ertönte Musik. Musik, die die Unruhe und die Angst der Katzen abklingen ließ, die Wohlgefühl verbreitete, Sicherheit verhieß.
Denn außer den Katzen wohnten im
Loch
die Musikanten.
Der Veehal
Der Tag begann ebenso wie alle anderen Tage – ein kalter Morgen erwärmte sich und entspannte sich zu einem warmen Herbstvormittag, hellte sich in seinem Zenit mit den Fäden des Altweibersommers auf, bezog und verdunkelte sich gegen Abend, begann zu verlöschen.
Es geschah völlig unerwartet, plötzlich, ohne Vorwarnung. Der Veehal zerriss die Luft, flog zwischen den Büschen einher wie ein Windstoß, vervielfältigte sich mit dem Echo, das die Steinwände der Wohnblöcke zurückwarfen. Eine entsetzliche Furcht machte, dass gefleckte und gestreifte Felle sich sträubten, Ohren angelegt, Zähne gebleckt wurden.
Veehal!
Qual und Tod!
Mord!
Veehal!
Der
Schirm
! Der
Schirm
reißt!
Und Musik.
Beschwichtigung.
Erst später ergossen sich die Sirenen der Krankenwagen über die Kleingärten. Erst später begann das hektische Gewimmel der weiß und blau gekleideten Menschen. Die Katzen betrachteten das aus den Verstecken heraus, ruhig und gleichgültig. Es betraf sie nicht mehr.
Die Menschen rannten, schrien, fluchten. Die Menschen trugen zwischen Lauben Körper hervor, die massakriert waren, verunstaltet, durch weiße Tücher hindurch Blut
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