Etwas Endet, Etwas Beginnt
weitergeschlafen. Erst nach dem Frühstück ist mir eingefallen, dass ich dir etwas ungewöhnlich Wichtiges zu sagen habe. Also habe ich mich auf ein Beutepferd gesetzt und die Abkürzung genommen.«
»Und was hast du mir denn zu sagen?«, erkundigte sich Visenna, während sie näher ging und in die blauen Augen schaute, die sie in der Nacht zuvor im Traum gesehen hatte.
Korin zeigte breit lächelnd die Zähne. »Die Sache ist von delikater Art«, sagte er. »Das lässt sich nicht in ein paar Worten zuammenfassen. Ich weiß nicht, ob ich es bis zur Dämmerung schaffe.«
»Fang wenigstens an.«
»Das ist es ja gerade. Ich weiß nicht, wie.«
»Herrn Korin fehlen die Worte.« Visenna schüttelte den Kopf, noch immer lächelnd. »Ein absolut unerhörtes Ereignis. Sagen wir also: Fang beim Anfang an.«
»Kein schlechter Gedanke«, erwiderte Korin mit gespieltem Ernst. »Weißt du, Visenna, es ist schon eine ganze Zeit, dass ich mich allein …«
»… in Wäldern und auf Landstraßen herumtreibe«, vollendete die Zauberin und schlang ihm die Arme um den Hals.
Buntgefiederter Vogel, hoch auf einem Zweig, flatterte mit den Flügelchen, breitete sie aus, warf das Köpfchen zurück.
»Trrrk twiit twiiit«, sagte er.
Visenna löste ihre Lippen von denen Korins, schaute zu dem Vogel hin, zwinkerte. »Du hattest recht«, antwortete sie. »Das ist wirklich ein Weg, von dem niemand zurückkehrt. Flieg, sag ihnen …«
Sie zögerte, winkte ab.
»Sag ihnen nichts.«
»Die Musikanten«
haben natürlich ebenfalls ihre Vorgeschichte. Die Erzählung entstand 1989 auf Bestellung Wojtek Sedeńkos, der mir vorschlug, mich an einer geplanten Anthologie polnischer Phantastik zu beteiligen. Die Anthologie, zu der Wojtek offensichtlich Harlan Ellisons berühmte
Dangerous Visions
inspiriert hatten, erschien schließlich unter dem Titel
Alternative Visionen
; der ursprüngliche Titel sollte jedoch
Bedrohungen
lauten. Ebendiesen Titel nannte mir Sedeńko, als er mir die Teilnahme vorschlug. Er warnte mich jedoch, dass er keine Fantasy haben wolle, das Genre, mit dem ich damals untrennbar assoziiert wurde. Ha, dachte ich, wenn es keine Fantasy sein soll und noch dazu
Bedrohungen
, dann wird klar, in welchem Stil ich schreiben muss! Ich hatte vorher nie geplant, Horror zu verfassen. Ich mochte dieses Genre nicht, denn es war schon in seiner Definition verlogen, sogar im Namen. Vor allem, wenn es um den modischsten Filmhorror ging, der – wie zutreffend –
Splatter
genannt wird. Der, anstatt Entsetzen, Angst und Unruhe auszulösen, meistens nur lächerlich war und manchmal zusätzlich mit »special effects« einen fast zum Übergeben führenden Ekel auslöste,
indem er reichlich rote Farbe, grüne Gallerte und lebensecht aussehende Latex-Gedärme verspritzte. Ich aber war mit gutem Horror aufgewachsen. In meiner Jugendzeit, als das Tauwetter des Jahres 1956 das Eis auch bei den Übersetzungen und in der Verlagspolitik schmelzen ließ. Damals hatte ich die Klassiker der Unheimlichen Phantastik verschlungen, Horrorgeschichten, die den Namen wirklich verdienten, wie »Die Affenpfote« von W. W. Jacobs, den »Schreienden Totenschädel« von F. Marion Crawford, »Schatten über Innsmouth« und andere Erzählungen Lovecrafts, Lems für das Genre innovativen Roman
Die Untersuchung
. Das waren Zeiten, das waren echte Gruselgeschichten. Dann gab es, wie schon gesagt, lange, lange nichts, bis
Rosemaries Baby
von Ira Levin und Blattys
Der Exorzist
erschienen. Und dann kam Stephen King mit seinem
Friedhof der Kuscheltiere
. Ob Sie es glauben oder nicht, aber als ich diesen Roman durchgelesen hatte – und das war ziemlich spät in der Nacht –, löschte ich irgendwie merkwürdig ungern das Licht.
Aber es waren keineswegs die King’schen Kuscheltiere, die den Anstoß zu den »Musikanten« gaben. Sie müssen nämlich wissen, dass ich Katzen vergöttere, dass ich diese Geschöpfe geradezu irrsinnig liebe. Und wenn des Abends unter dem Fenster der Schrei einer gequälten Katze ertönte, begleitet von einem »Fass, Rambo!« des Nachbarn, eines Herrn Doktors der Zahnheilkunde, oder von den spitzen Lustschreien der Nachbarin, einer Frau Dozentin der Universität von Łódź, erfasste mich … nein, nicht blinde, rasende Wut, nicht das Verlangen nach Erwiderung. Es erfasste mich das widerwärtig schändliche Bewusstsein meiner Machtlosigkeit. Und dann erfuhr ich, dass die Nachbarin aus dem vierten Stock,
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