Etwas Endet, Etwas Beginnt
…«
»Was habe ich?« Iza hörte Musik. Sie rieb sich mit der Hand übers Gesicht.
»Sie haben zu lachen begonnen …«
Ich muss, dachte Iza, ich muss zu Ela Gruber gehen.
Warum? Wozu?
Ich muss zu Ela Gruber …
Warum?
Ela Gruber ruft mich.
Debbe
Debbe lief, bald schnell mit den Pfoten trappelnd, bald in lang gestreckten Sätzen. Sie wusste, wo sie hinlaufen musste. Die ferne Musik, der vage Ruf der stillen Melodie wiesen ihr unfehlbar den Weg.
Sie erreichte den Rand des Gebüschs, hinter dem wie die Oberfläche eines vergifteten Flusses der Asphalt glänzte. Darauf fuhr, dröhnend und zischend wie ein Drache, schwankend ein großer, schwerfälliger Autobus entlang.
Ich muss mich von ihr verabschieden, dachte Debbe. Ehe ich fortgehe, muss ich mich noch von ihr verabschieden. Und sie warnen. Zum letzten Mal. Wo das wohl sein mag, dieses Bremen?
Sie sprang.
Das heranfahrende Auto erfasste sie mit den Scheinwerfern. Eine Sekunde lang sah sie die rote, fette Visage des Mannes, der Gas gab und ruckartig das Steuer herumriss.Der Wagen stürmte auf sie zu; sie spürte, wie die Maschine zitterte vor Wut, Entschlossenheit und Mordlust. Sie sprang im letzten Augenblick beiseite, der Luftzug zauste ihr Fell.
Sie lief die Hecke entlang, ein kleiner getigerter Schatten.
Locus terribilis
Die Katzen waren überall ringsum – reglos, die Köpfe erhoben, schauten sie, lauschten. Sie drehten die Köpfe der vorbeigehenden Debbe hinterher, begrüßten sie mit Miauen, kniffen voller Hochachtung die Augen zusammen. Keine bewegte sich, keine kam näher. Das Zeichen des Kankers auf der Stirn der Katze leuchtete in der Dunkelheit in geisterhaftem Licht.
Sie spürte, dass dieser Ort seltsam war, gefährlich. Mit den Pfoten fühlte sie die Erde pulsieren, hörte unwirkliche flüsternde Stimmen. Einen Moment lang erblickte sie hinter einem Schirm aus waberndem Nebel … Feuer und Kreuze, umgekehrt, in den Boden gerammt …
Debbe begann im Takt der Melodie zu schnurren. Die Bilder verschwanden.
Von weitem sah sie eine schwarze Form – die Reste eines Ofens, der in den Erdboden eingegraben war wie das ausgebrannte Wrack eines Panzers auf dem Schlachtfeld. Neben dem Ofen, schwarz vorm Hintergrund des Himmels, drei kleine Silhouetten.
Ein schwarzer Hund mit einer krummen Pfote.
Eine graue Ratte mit Schnurrhaaren an dem langen Schnäuzchen.
Und ein kleiner rötlicher Hamster.
Die Musikanten.
Das gelbe Zimmer
»… Da lief der Räuber, was er konnte, zu seinem Hauptmann zurück«, las die Großmutter, »und sprach: ›Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angehaucht und mir mit ihren langen Fingern das Gesicht zerkratzt. An der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen. Auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungetüm, das hat mit einem Holzprügel auf mich losgeschlagen. Und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: Bringt mir den Schelm her!‹«
Der Junge lachte mit silberhellem Stimmchen. Venerdina, die auf dem Bett lag, rollte sich zusammen, spitzte ein Ohr.
»Und weiter? Lies, Oma!«
»Und das ist das Ende von dem Märchen. Die Räuber liefen weg und kamen nie wieder, und der Hund, die Katze, der Esel und der Hahn blieben in dem Waldhaus wohnen und lebten lange und glücklich.«
»Und sie sind dahin gegangen … na, da, wo sie hinwollten?«
»Nach Bremen? Nein. Ich glaube nicht. Sie blieben in dem Haus und wohnten dort.«
»Aha.« Der Junge überlegte, kaute an einem Finger. »Schade. Denn da müssen sie ja eigentlich hin. Das hat sich der Hund ausgedacht, als sie ihn wegjagten, weil er schon alt war. Das ist ganz hässlich. Ich werde nie erlauben, dass unsere Minka weggejagt wird, und wenn sie ganz, ganz alt ist.«
Venerdina hob den Kopf und schaute den Kleinen aus gelben, unergründlichen Augen an.
»Schlaf, Mariusz. Es ist schon spät.«
»Ja«, sagte der Junge schläfrig. »Sogar wenn sie ganz alt ist. Bei uns gibt es sowieso keine Mäuse. Und sie müssennach Bremen gehen. Sie waren alle … Nimm Minka nicht weg, Oma. Sie soll bei mir schlafen.«
»Man schläft nicht mit der Katze …«
»Ich will aber.«
Ela Gruber
Iza riss den Kopf hoch, um munter zu werden, fuhr mit der Hand übers Laken. Draußen war es dunkel. Sie saß auf dem Bett, und die Berührung des Lakens frappierte sie mit Fremdheit, mit der brutal ehrlichen Gewissheit, dass sie …
Nicht hier sein sollte.
»Hörst du mich?«, sagte das Mädchen, das im
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