Etwas Endet, Etwas Beginnt
ihr?«
»Interessiert dich das? Doch, ich habe es gehört. Das ist ein ziemlich sonderbarer Fall, Iza. Als sie sie brachten, stand sie unter Schock, mit den Symptomen, wie sie für eine Hirnblutung typisch sind. Sie ist fast sofort in einen komatösen Zustand übergegangen, der nicht nachlässt und nicht zurückgeht. Ich neige zu der Ansicht, dass der Schock bei ihr von einer Entzündung am Grunde des dritten Ventrikels oder im Sylvius-Aquädukt überlagert worden ist.«
»Encephalitis lethargica?«
»Hm. Warum fragst du?«
Iza wandte den Kopf ab. Durchs Fenster, vermischt mit dem nächsten verzweifelten Aufheulen des Autoalarms, drang das Jaulen eines Hundes, abgehackt, immer lauter.
»So einem würde ich den Arsch aufreißen«, ließ sich der Mann vernehmen, den Blick zum Fenster gerichtet. »Er hat Probleme auf Arbeit oder zu Hause und reagiert sich an dem armen Tier ab, das Vieh.«
»Der Veehal zerreißt den
Schirm
«, sagte Iza langsam.
»Was?«
»Der Veehal. Die Stimme eines gemarterten Tieres. Die Stimme von Verzeiflung, Angst, Schmerz, die jeden Gedanken raubt.«
»Iza?«
»Der Schrei, der kein Schrei ist.« Iza sprach immer lauter. »Der Veehal. Der Veehal zerreißt den
Schirm
. Das sagte … Ela Gruber. Sie hat es gesehen.«
»Anscheinend …« Der Mann stockte. »Iza! Sie kannunmöglich … Das Mädchen liegt im Koma! Wovon redest du?«
»Sie spricht zu mir. Sie spricht und heißt mich bestimmte Dinge tun.«
»Iza, du musst wirklich Urlaub nehmen.« Der Mann schaute sie an, seufzte. »Und vorher kommst du zu mir, ich untersuche dich. Das ist dieser verdammte Stress, diese lausige Arbeit, überhaupt alles in diesem Land. Du darfst dir das nicht so zu Herzen nehmen, Iza.«
»Henryk.« Iza setzte sich im Bett auf. »Verstehst du nicht, wovon ich rede? Ela Gruber spricht zu mir. Ich höre sie. Sie hat gesehen …«
»Ich weiß, was sie gesehen hat. Das war gewiss der Grund für den Schock und die Blutung. Sie war Zeugin des Mordes auf den Grundstücken.«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Das war später. Das hat sie nicht mehr gesehen. Gesehen hat sie … Das Brett, das sie einer Katze auf den Kopf gelegt haben, die sie bis zum Halse im Boden vergraben hatten. Die Füße, die auf diesem Brett herumtrampelten. Die Augen … Zwei Kügelchen …«
»Jesus Maria! Iza? Woher hast du davon … Von wem?«
»Sie haben … es mir gesagt …«
»Wer?«
»Die Musi …kanten …«
»Wer?«
Iza, den Kopf auf die angezogenen Knie gesenkt, wurde von Weinen geschüttelt.
Der Mann schwieg. Er dachte daran, wie wenig widerstandsfähig Frauen sind, in welchem Grade ihre Weibergefühle sie beherrschen, sie am Arbeiten hindern, am Genuss des Lebens. Er dachte daran, dass die Verweiblichung bestimmter Berufe, die für Frauen absolut unpassendsind, ein großes Unglück ist. Um Iza, dachte er, steht es wirklich schlecht. Er machte sich Sorgen. Einen Augenblick lang. Aber einen Augenblick später gewann eine andere Sorge die Oberhand – was er seiner Frau sagen sollte, wenn er von Iza nach Hause kam. In diesem Monat hatte er schon alle guten Ausreden verbraucht.
Er dachte, dass er Iza unbedingt untersuchen müsse, ein EEG machen, Tests durchführen. Er könnte das sogar am Dienstag tun, aber er hatte einem Kollegen versprochen, am Dienstag zu ihm aufs Grundstück zu kommen und ihm zu helfen, die Maulwürfe zu vergiften. Verdammt, dachte er, ich habe vergessen, heute das Strychnin aus der Klinik mitzunehmen.
»Nimm Urlaub, Iza«, sagte er.
Das blaue Zimmer
»Maryłka!«, rief Iza, während sie auf den leeren, von weißem Leinen und Wachstuch bedeckten Tisch blickte, auf die auseinandergeworfenen Drähte, Nadeln, Sensoren, Lederriemen und Klammern.
»Maryłka!«
»Ich bin hier, Frau Doktor.«
»Wo ist meine Katze?«
»Katze?«, wunderte sich die Laborantin.
»Die Katze«, wiederholte Iza. »Die getigerte. Die, die ich in letzter Zeit benutzt habe. Was ist mit ihr?«
»Wieso? Sie haben doch selbst …«
»Was habe ich?«
»Sie haben mir gesagt, ich soll sie da hinübertun … Da, wo der Käfig steht. Dann haben Sie mich Milch bringen lassen. Ich hab welche gebracht, und Sie haben die Katze gefüttert …«
»Ich?«
»Ja, Frau Doktor. Und dann haben Sie das Fenster aufgemacht. Wissen Sie das nicht mehr? Die Katze ist aufs Fensterbrett gesprungen. Da hab ich sogar noch gesagt, dass sie Ihnen weglaufen wird. Und sie ist weggelaufen. Und Sie haben
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