Etwas Endet, Etwas Beginnt
Bett lag.
Iza nickte, bestätigte, was unmöglich war. Die Augen des Mädchens waren glasig und leer, übers Kinn lief ihm ein dünnes, glänzendes Rinnsal von Speichel.
»Hörst du?«, wiederholte das Mädchen, wobei es leicht lispelte und ungeschickt die gekrümmten Lippen bewegte, die mit weißlichem Belag bedeckt waren.
»Ja«, sagte Iza.
»Das ist gut. Ich wollte mich von dir verabschieden.«
»Ja«, flüsterte Iza. »Aber das ist doch …«
»Unmöglich? Wolltest du das sagen? Macht nichts. Es ist uns nicht gelungen, vieles ist uns nicht gelungen, Hellhaarige. Ich will mich von dir verabschieden. Vielleicht wird es dich wundern, aber … ich habe die Berührung deiner Hände liebgewonnen. Höre mir aufmerksam zu. Wenn heute Nacht der Veehal ertönt, wird der
Schirm
reißen. Ich weiß nicht, ob es uns gelingt … jene aufzuhalten. Darum musst du fliehen. Was sollst du tun? Wiederhole.«
»Ich weiß nicht«, stöhnte Iza.
»Du sollst fliehen!«, schrie Ela Gruber und warf den Kopf auf dem Kissen hin und her. »Fliehen, so weit wie möglich fort vom
Schirm
! Versuche nicht, etwas zu verstehen, und glaube, was du siehst! Mir scheint, du bildest dir ein, das sei ein Traum, ein Alb, aber es ist die Wirklichkeit! Verstehst du?«
»Nein … Ich verstehe nicht. Ich … bin wahnsinnig geworden, nicht wahr?«
Das Mädchen schwieg, schaute aus kleinen, nadelstichgroßen Pupillen zur Decke.
»Ja«, sagte es. »Alle sind wahnsinnig geworden. Schon seit langem. Noch eine Verrücktheit, ein kleines Körnchen auf dem Gipfel des riesigen Berges von Wahnsinn. Dieser letzte Veehal, der nicht sein dürfte. Wer weiß, vielleicht ist es heute? Hörst du mich?«
»Ich höre«, sagte Iza, vollkommen ruhig. »Aber ich bin Psychiater. Ich weiß genau, dass du nicht zu mir sprechen kannst. Du liegst im Koma. Das bist nicht du. Die Stimme, die ich höre, sendet mein krankes Hirn aus. Es ist eine Halluzination.«
»Eine Halluzination«, wiederholte das Mädchen lächelnd.
Das ist ein Krampf der Gesichtsmuskeln, nur ein Krampf, wie er nach Hirnblutungen auftritt, dachte Iza, daran ist nichts Gespenstisches. Nichts Gespenstisches, dachte sie und spürte, wie sich ihr die Nackenhaare sträubten.
»Eine Halluzination, sagst du«, fuhr Ela Gruber fort. »Oder etwas, was es in Wahrheit nicht gibt. Ein falsches Bild. Ja?«
»Ja.«
»Man kann es hören. Man kann es sehen. Aber es gibt es nicht. Ja?«
»Ja.«
»Wie sehr verschieden wir sind, du und ich. Anscheinend ist mein Hirn weniger gut entwickelt als deins, aber ich weiß zum Beispiel, dass es das, was ich sehe und höre, gibt. Dass es existiert. Wenn es nicht existieren würde, wie könnte ich es wahrnehmen? Und wenn es existiert und Krallen, Reißzähne, ein Maul hat, dann muss man davor fliehen, denn es kann dich verletzen, zermalmen, zerreißen. Ebendarum musst du fliehen, Hellhaarige. Durch den zerrissenen
Schirm
werden Halluzinationen kommen. Das ist eine gute Beschreibung für etwas, das keine eigene Gestalt hat, sie aber im Hirn desjenigen findet, der es betrachtet. Falls dieses Hirn solch einen Versuch aushält. Und kaum ein Hirn tut das. Ich sage zum letzten Mal: Leb wohl, Hellhaarige.«
Ela Grubers Kopf drehte sich kraftlos zur Seite, schaute Iza mit totem, gläsernem Blick an.
Die Katze
»Gut, es ist so weit. Jetzt«, flüsterte Chęclewski.
Nejman schaute auf die Uhr. Es war neun Uhr dreiundzwanzig. Während er hinschaute, begann die letzte Ziffer wie ein Gerippe in einem Trickfilm zu tanzen und wurde zur Vier. Auf den Gleisen, hinter einem Garten, donnerte und dröhnte in dem tiefen, mit Ebereschen bewachsenen Geländeeinschnitt ein Zug.
»Worauf warten wir, zum Teufel?«, fragte der Rechtsanwalt ungeduldig.
Nejman zog aus dem Plastiksack ein dickes Bündel, umwickelt mit mehreren Handtüchern und mit Jutestrick. Aus dem Bündel ragte ein schwarz-weißer Katzenkopf hervor, am anderen Ende Schwanz und Hinterpfoten des Tieres.
Nejman holte aus der Anoraktasche eine Kombizange, isoliert mit organgefarbenem Kunststoff.
Ein Stück weiter, hinter den Lauben, saß Zdyb neben Wenda, der heftig durch die verschnupfte Nase schniefte. Er zuckte bei dem Laut zusammen, der von den Gärten her zu ihm drang.
»Jesus«, schniefte Wenda. »Das muss ihr aber wehtun.«
Im
Loch
pressten sich die Katzen an den Boden, bleckten die weißen Zähne, legten die Ohren an.
Die Musikanten, alle vier, waren bereit.
Zdyb
Das Dröhnen des Zuges verstummte, hallte
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