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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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schwarz, kalt und tief wie der Rhein am Loreley-Felsen. »Im Schloss von Würzburg   … Oder vielleicht noch später, in Schwaben, am Hofe Philipps   … ich erinnere mich an die vollen Lippen von Beatrix, der Tochter Berengars von Passau. Und dann, viele Jahre später, habe ich dieses Lied in einer Herberge unweit von Worms gehört.
Vor dem walde in einem tal   …
Du weckst mich aus dem Schlaf.«
    Monika presste die Lider fest zusammen.
    »Du weckst mich aus dem Schlaf. Dieses Lied   … Es hat so lange überdauert. Ich weiß noch, wir haben es auf dem Marsch gesungen, als wir aus Marienburg zu dem Treffen mit dem Komtur Wolfram de Lys gegangen sind, zu den Furten durch die Drewenz. Und noch später, viele Jahre später, habe ich es zusammen mit anderen bei Frankenhausen gesungen, als an den Hängen des Hausberges das Blut der aufständischen Bauern herabfloss.
    Du weckst mich aus dem Schlaf.«
    Monika lag reglos auf dem Bett von Blumen. Sie blickte dem Minnesänger geradezu in die Augen. Noch nie hatte sie so kalte Augen gesehen. Noch nie dieses Gesicht. Nur das Lächeln   …
    Gib die Hand.
    Ja, dieses Lächeln hatte sie schon einmal gesehen. Gewiss.
    Doch sie erinnerte sich nicht, wo.
    »Gib die Hand.«
    Hinter dem Rücken des Minnesängers tauchten andere Gestalten auf, in grotesken Pelzmasken, die mit riesigen Ohren wedelten. Es ertönte ein leiser, rhythmischer, skandierter Singsang, ein vielstimmiger, stammelnder Chor, einzelne, akzentuierte, unverständliche Wörter   …
    Tandaradei!
    »Monika!«, rief Elka, genannt das Schneehuhn. »He, Monika, weißt du nicht, wo der Zucker ist?«
    »Was?« Monika fuhr auf, ließ das Buch zu Boden fallen, tastete mit den Händen übers Bett. »Was? Elka? Bin ich eingeschlafen?«
    »Nein«, sagte Elka und schloss die Schranktür mit einem schrecklichen Krach, der die Reste des sonderbaren Traums verscheuchte. »Ganz im Gegenteil. Du bist aufgewacht, gerade rechtzeitig. Es ist um neun. Hör mal, Monika, ich kann meine Kaffeetüte nicht finden. Hab sie wohl irgendwohin verlegt. Kann ich ein bisschen von deinem nehmen?«
    Monika rieb sich die Augen, langte nach der Brille. »Kannst du, Elka.«
     
    Die Signale, die sich bald tags, bald nachts wiederholten, waren leise, scheinbar bedeutungslos, kaum zu bemerken. Die Frau Doktor in dem kleinen Haus auf der Hügelkuppe erfasste ihre Bedeutung nicht gleich. Wesentlich schneller erfasste sie der Kater   – er ließ es an verändertem Verhalten erkennen, an Unruhe, ungezügelter Aggression, die er an allem ausließ, was ihm unter die Pfoten kam. Die Frau Doktor bemerkte es, machte sich aber keine Gedanken darum   – sie schrieb die Launen des Tieres seiner unbändigen Raubtiernatur zu. Es wunderte sie auch nicht, dass der Dachs, der ihr für gewöhnlich wie ein Hund nachlief, sich in seiner Höhle verkroch und tagsübernicht hervorkam. Die Frau Doktor erklärte das mit der Furcht vor dem Toben des Katers.
    Die nächsten Signale waren schon deutlicher   – das abendliche Konzert der Kröten wurde plötzlich abgeschnitten, unterbrochen von langen Pausen einer bedrohlichen, von Entsetzen erfüllten Stille. Die morgendlichen lautlosen Flüge von Ziegenmelkern, deren Schwärme den Himmel verdunkelten. Ein verändertes, zorniges Glucksen des Flusses zwischen den umgestürzten Bäumen.
    Etwas ist im Gange, dachte die Frau Doktor. Etwas ist im Gange.
    Tags darauf fand sie unmittelbar am Waldrand einen zerrissenen Eichelhäher; Tropfen von getrocknetem Blut glänzten wie Perlen auf den kleinen rötlichen Federn. Die Frau Doktor wusste, dass das nicht der Kater getan hatte   – der Kater, der ihr nachgelaufen war, fauchte beim Anblick des getöteten Vogels, presste sich an den Boden und schaute ihr furchtsam in die Augen.
    »In Tümpel und Tiefe«, flüsterte sie. Der Kater miaute.
    Sie ging auf den Platz vorm Haus zurück, in Gedanken versunken, geistesabwesend. Und da   …
    Der Kater fauchte, machte einen Buckel.
    An der Haustür fehlte die Sichel, die immer dort hing, zusammen mit einem trockenen Bund Kräuter. Sie drehte sich um   – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der blutige Stahl auf sie zugeflogen kam, wirbelnd, in der Luft pfeifend.
    »Eth!«, schrie sie und presste sich mit dem Rücken an den Türrahmen.
    Die Sichel begann zu rotieren, krümmte sich wie ein lebendes Band, wich von der Flugbahn ab, bohrte sich mit dumpfem Geräusch in die zerkratzte Tür, zitterte wütend, stieß ein metallisches Seufzen

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