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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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den Beton stürzte. Iza rannte. Tropfen   – vielleicht auch Tränen   – rannen ihr über die Wangen.
    Neben ihrem Fiat lag ein Mann im gestreiften Schlafanzug,halb gegen die Mauer am Tor gelehnt. Er atmete röchelnd, bei jedem Ausatmen wuchsen ihm an den Nasenlöchern blutige, platzende Blasen.
    Sie fand die Wagenschlüssel in der Handtasche nicht. Mit zitternden Händen schüttete sie den ganzen Inhalt auf den Bürgersteig. Sie hob nur die Schlüssel und das Portemonnaie auf.
    Etwas knirschte direkt neben ihr, dass sie zusammenfuhr und die Schlüssel fallenließ. Ein gusseiserner Kanaldeckel sprang hoch, fiel auf die Straße, und aus dem Kanal sprudelte mit dumpfem Schmatzen Blut, vermischt mit Unrat, und floss auf dem Asphalt breit, drang ihr widerlich warm in die Schuhe. Iza schrie auf, wich vom Auto zurück, stolperte über den Körper des Mannes im Schlafanzug, lehnte sich rücklings an die Mauer. Aus dem schwarz glänzenden Abgrund des Kanals bewegte sich etwas hervor, plätschernd und blubbernd.
    Um die Straßenecke kam heulend ein Mann gelaufen, ihm nach ein zweiter, beide rannten in irrsinnigem Tempo an Iza vorbei. Iza erstarrte, blickte auf. Ein Wind, ein warmer Wind, der plötzlich aufgekommen war, traf sie mit entsetzlichem Gestank.
    Um die Straßenecke   …
    Iza kannte dieses Gefühl. Sie erinnerte sich aus der Kindheit daran   – der Traum, der sie so oft mit einem Schrei hatte erwachen lassen. Der Traum, in dem sie gelähmt, willenlos zur Tür blickte, die geschlossen und von innen verriegelt war, und wusste, dass diese Tür trotz des Riegels aufgehen würde. Sie würde aufgehen, und dahinter stünde etwas, wovor es weder Rettung noch Flucht gab. Etwas, das keine Hoffnung ließ.
    Ohne es zu wissen, schrie sie mit dünnem, unablässigem Falsett, mit dem Schrei eines gemarterten Tieres. Plötzlich war sie zum Tier geworden, hier auf der dunklen,von Blut und Scheiße überfluteten Straße, inmitten von tausenderlei Produkten der Zivilisation, von denen in diesem Moment kein einziges auch nur die geringste Bedeutung hatte. Plötzlich war sie ein Biber, erstickt vom elastischen Draht der Fangschlinge, ein Fuchs, dem die stählernen Zähne der Falle die Pfote zermalmten, eine Robbe, der mit einem Knüppel der Kopf zerschmettert wurde, ein Reh, mit der Schrotflinte geschossen, eine sich in Krämpfen windende vergiftete Ratte. Sie war all jene, mit denen sie Furcht und Schmerz teilte und die Gewissheit, einen Augenblick später nichts zu sein   – denn ein kalter, schmutziger, stinkender Kadaver ist nichts.
    Das Etwas, das hinter der Straßenecke knirschte und rasselte, seine Schritte mit seinem schweren, heiseren Atem untermalte, kam hervor und blickte sie mit dem golden-karminroten Schein seiner riesigen Augen an.
    Der Schrei erstarb in Izas Kehle zu einem Röcheln. Ihr Bewusstsein, ihr Verstand, ihre Intelligenz und ihr Wille explodierten und platzten wie eine aufs Pflaster geworfene Glühlampe.
    Der
Picklige
war durch den zerrissenen
Schirm
gekommen.

»Tandaradei!«
    So muss das geschrieben werden, mit Ausrufezeichen. Die Versionen ohne Ausrufezeichen sind falsch. Die Geschichte dieses Textes, meiner zweiten Horror-Erzählung und der dritten, die nicht vom Hexer handelte, hat recht viele Eigenheiten. Die Idee dazu entstand nämlich im Zug Gdynia   – Łódź, mit welchselbigem prosaischem Verkehrsmittel ich im Dezember 1990 vom Nordcon zurückfuhr. Diese Convention, die zweite, die mich mit einer Einladung beehrte, war reich an Ereignissen und Attraktionen, von denen ich jedoch schweigen will, denn hier ist nicht Zeit noch Ort, sich ihrer zu erinnern, und viele von ihnen sollten überhaupt dem barmherzigen Vergessen anheimfallen. Ich beschränke mich also auf die Mitteilung, dass ich mir bei einer Buchversteigerung auf dem Nordcon unter anderem einen Band phantastische Erzählungen gekauft hatte und mir mit der Lektüre die Langeweile vertrieb, die für gewöhnlich mit Bahnreisen einhergeht. Unter den Erzählungen befand sich »You Are My Sunshine« von Tanith Lee. Diese Geschichte, reine SF, spielt in ferner Zukunft an Bord eines Passagierraumschiffs. Zu den Offizieren besagten Sternenschiffs gehört auch ein
sogenannter P.   L., ein Passenger Link, so eine Art (ich bitte meine mangelhafte Kenntnis der nautischen Fachbegriffe zu entschuldigen) Kultur- und Bildungsverantwortlicher, jemand, zu dessen Pflichten es gehört, den Passagieren jegliche Annehmlichkeit zu sichern, darunter auch die

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