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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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»Unsere Sache« über Mi-28 »Havocs« verfügten, aber man konnte es nicht ausschließen. Immerhin hatte jemand in Sankt Petersburg den Kreuzer »Aurora« gestohlen und war damit dem Abendrot entgegengefahren. Warum also nicht auch einen Hubschrauber? Ein Hubschrauber ist doch wohl leichter zu mausen als ein Kreuzer?
    Ach, egal. Ich drückte mir die Hörer auf die Ohren und schaltete den Walkman ein, um »Julie« zu hören, ein Lied der Gruppe Jesus and Mary Chain von ihrer neuen CD »Cruising«. Ich drehte die Lautstärke voll auf.
     
    Julie, your smile so warm
    Your cheek so soft
    I feel a glow just thinking of you
    The way you look tonight
    Sends shivers down my spine
    Julie
    You’re so fine
    So fine   …
     
    An einer Haustür, an der ich vorbeikam, stand mein Nachbar und Mitschüler Prusak, er hielt Mäuschen, seine kleine Schwester, bei der Hand. Ich blieb stehen und nahm die Kopfhörer ab.
    »He, Prusak. Grüß dich, Mäuschen.«
    »Blierrppp«, sagte Mäuschen und besabberte sich ein bisschen, weil ihr die Oberlippe auseinanderging.
    »Grüß dich, Jarek«, sagte Prusak. »Du gehst in die Schule?«
    »Ja. Du nicht?«
    »Nein. Du hörst doch wohl?« Prusak zeigte zur Maniówka hin und allgemein nach Norden. »Weiß der Teufel, was das werden kann. Krieg, Kumpel, volles Rohr.«
    »Stimmt«, erwiderte ich. »Man hört, dass Gewalt mit Gewalt zurückgeschlagen wird.
Who’s fighting whom?
«
    »Keine Ahnung«,
sagte er auf Deutsch, und dann wieder polnisch: »Wo ist der Unterschied? Aber ich werde doch Mäuschen nicht alleinlassen, was?«
    Im ersten Stock des Hauses waren aus den offenen Balkontüren heraus Schreie und Gebrüll zu hören, der Klang von Schlägen und ein piepsiges Wimmern.
    »Nowakowski«, erklärte Prusak, der meinen Blick verfolgt hatte, »verprügelt seine Frau, weil sie bei den Zeugen Jehovas eingetreten ist.«
    »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir«, sagte ich und nickte.
    »Was?«
    »Urpppl«, sagte Mäuschen, verzog das Gesicht und kniff ein Auge zusammen, was bei Mäuschen Lächeln bedeutete. Ich strich ihr leicht über die Härchen, die schütter waren und hell.
    Von der Maniówka her ertönten Explosionen und das wütende Gekläff von MGs.
    »Ich gehe«, sagte Prusak. »Ich muss noch Klebstreifen übers Küchenfenster kleben, sonst fällt wieder eine Scheibe raus.
Bye
, Jarek.«
    »
Bye
. Tschüss, Mäuschen.«
    »Birppp«, piepste Mäuschen und sprühte Spucke.
    Mäuschen ist nicht schön. Aber wir alle haben Mäuschen gern. Ich auch. Mäuschen ist sechs Jahre alt. Sie wird niemals sechzehn sein. Tschernobyl, wie ihr ganz richtigdenkt. Die Mutter von Prusak und Mäuschen liegt gerade im Krankenhaus. Wir sind alle neugierig, was sie zur Welt bringen wird. Sehr neugierig.
    »Du Ketzerin!«, brüllte von oben her Nowakowski. »Du Judenvettel! Dir werde ich dieses Heidentum aus dem Schädel prügeln, du rothaarige Äffin!«
    Ich schaltete den Walkman ein und lief weiter.
     
    Julie, Julie
    There’s nothing for me but to love you
    Hoping it’s the kind of love that never dies
    I love the way you look tonight
    Julie
    You’re so fine
    You’re all that really matters   …
     
    Der Neumarkt war fast menschenleer. Die Ladenbesitzer verriegelten ihre Türen, ließen die eisernen Jalousien und Gitter herab. Nur McDonald’s hatte auf, denn McDonald’s ist exterritorial und unantastbar. Wie üblich saßen dort und futterten die Korrespondenten verschiedener Pressekonzerne und die Fernsehteams verschiedener Sender. Auch die Buchhandlung »Atena« hatte geöffnet, sie gehörte einem Bekannten von mir, Tomek Hodorek. Ich war oft bei Tomek, kaufte bei ihm unter der Ladentheke verschiedene Schmuggelware, Samisdat- und andere Bücher, die die Kirche verboten hatte. Außer seinem Buchhandel widmete sich Tomek Hodorek auch der Herausgabe der gern gelesenen Monatszeitschrift
Birbant
, einer örtlichen Mutation des
Playboy
.
    Tomek stand gerade vor dem Laden und wusch mit Verdünnung das aufs Schaufenster geschmierte »DU WIRST HÄNGEN JUDE« ab.
    »Servus, Tomek.«
    »
Salve
, Jarek.
Come inside
! Ich habe
Der Meister und Margarita
vom Verlag Sewer. Und
Die Blechtrommel
von Grass.«
    »Habe ich beides schon, alte Ausgaben. Vater hat sie versteckt, als sie sie verbrannt haben. Hast du den Salman Rushdie aufgetrieben?«
    »Ich bekomme ihn in zwei Wochen. Zurücklegen?«
    »Klar. Mach’s gut. Ich muss in die Schule.«
    »Justament heute?« Tomek zeigte in Richtung Maniówka, woher

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