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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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1 . Der Entlassungsgrund war, wie behauptet wurde, eine nicht geregelte Einstellung zum Glauben und Mangel an Achtung vor den Symbolen, die allen Polen heilig sind. Aber meine Schulkameraden haben bei sich zu Hause gehört, dass der Grund in Wahrheit eine Denunziation war. Die übrigens der Wahrheit entsprach. Noch unter dem alten Regime ist Vater einmal bei der Maidemonstration mitgegangen und hat noch dazu eine rote Fahne getragen. Meinen Vater, wie ihr euch denken könnt, können diese Werke mal, die kurz vor der Pleite stehen und in denen alle naselang gestreikt wird. Wir kommen auch so ganz gut zurecht, denn Mutter arbeitet bei den Deutschen, überm Fluss, in der Ostpreußischen Anilin- und Sodafabrik, die zu den Vier Schwestern gehört; sie verdient dort dreimal mehr als früher mein Vater bei den Skorupka-Konzentraten.
    Ich sammelte schleunigst die Glassplitter auf und wischte das vergossene Wasser weg, dann wischte ich noch einmal nass über den Boden, damit uns die Corega Tabs nicht das Linoleum zerfressen. Mutter hatte auch nichts gemerkt, denn sie war im großen Zimmer beim Make-up und schaute sich dabei Stellen aus dem »Denver Clan« an, die ich ihr am Abend zuvor mitgeschnitten hatte. In der litauischen Version, weil ich zur polnischen zu spät gekommen war. Mutter kennt kein Wort Litauisch, aber sie behauptet, dass das im Fall des »Denver Clans« keine Rolle spielt. Außerdem wird die litauische Fassung nur dreimal von Werbung unterbrochen und dauert bloß anderthalb Stunden.
    Ich zog mich rasch an, nachdem ich zuerst mit der Fernbedienung meinen persönlichen Sony eingeschaltet hatte. MTV sendete »Awake On The Wild Side«. Meine Sachen suchte ich zusammen und zog die Jacke über, während ich im Rhythmus von »Tomorrow« zuckte, dem neuen, mächtig gepushten Hit von Yvonne Jackson aus dem Album »Can’t Stand The Rain«.
    »Ich gehe, Mama!«, schrie ich, schon unterwegs zur Tür. »Ich gehe, hörst du?«
    Ohne mich eines Blickes zu würdigen, wedelte Mama heftig mit der Hand mit den purpurrot angemalten Fingernägeln, und Jamie Lee Verger, die Ariel Carrington spielte, eine von den Enkelinnen des alten Blake, sagte etwas auf Litauisch. Blake verdrehte die Augen und sagte »Alexis«. Entgegen allem Anschein war das kein Litauisch.
    Ich lief auf die Straße, in einen frischen Oktobermorgen. Bis zur Schule ist es ein ganzes Stück Weg. Zeit hatte ich aber genug, also entschloss ich mich, die ganze Strecke in leichtem Laufschritt zurückzulegen. Jogging, versteht ihr? Nichts als Gesundheit und Kondition. Zumal deröffentliche Nahverkehr in der Stadt vor einem halben Jahr Pleite gemacht hatte.
    Dass etwas im Gange war, merkte ich sofort. Das war keine Kunst   – von der nördlichen Seite der Stadt her, von der Maniówka, ertönte plötzlich Kanonendonner, und gleich darauf knallte etwas derart rein, dass das ganze Haus wankte, aus dem Gebäude der See- und Kolonialliga zwei Scheiben herausfielen und an der Fassade des Kinos »Palladium« die Plakate für den Propagandafilm »Erbarmen, Mama« zu flattern begannen, der in schlecht besuchten Matineevorstellungen lief.
    Ein paar Minuten später knallte es wieder, und hinter den Dächern schossen in Kampfformation vier braun- und grüngefleckte Mi-28 »Havocs« hervor, gehüllt in den Rauch der von den Auslegern verschossenen Raketen. Rings um die Hubschrauber blitzten Leuchtspurgeschosse auf, die vom Boden abgefeuert worden waren.
    Wieder, dachte ich. Es geht wieder los.
    Damals wusste ich noch nicht, wer wem zusetzte und warum. Aber Möglichkeiten gab es auch wieder nicht gar so viele. Die Mi-28 gehörten bestimmt den Litauern von der Division »Plechavicius«. Unsere Armee war nicht in der Gegend, denn sie war an der ukrainischen Grenze zusammengezogen worden. Aus Lwiw, Kiew und Winniza waren wieder einmal die von uns abgesandten Jesuiten vertrieben worden, und in Uman, hieß es, war auch etwas im Gange. Das würde bedeuten, Widerstand konnten den Šaulissen 2 entweder die Bürgerwehr leisten oder die Deutschen vom Freikorps. Es konnten auch die Amerikaner von der 101.   Airborne sein, die in Gdańsk und inKönigsberg stationiert war und von dort aus startete, um die Plantagen im Mohndreieck Biała Podlaska   – Pińsk– Kowel mit Napalm zu belegen.
    Es konnte auch ein gewöhnlicher Überfall auf unsere örtliche Chemical Bank sein oder die übliche Abrechnung von Schutzgeldbanden. Ich hatte nie gehört, dass die Racketeers von der Organisation

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