Etwas Endet, Etwas Beginnt
verständlich. Wo Iseult war, wurden andere nicht wahrgenommen.«
»Nein, Branwen. Ich erinnere mich an dich. Heute habe ich dich nicht erkannt, weil …«
»Ja, Morholt?«
»Damals, in Tara … hast du immer gelächelt.«
Schweigen.
»Branwen?«
»Ja, Morholt?«
»Was ist mit Tristan?«
»Es steht schlecht. Die Wunde schwärt, will nicht heilen. Es beginnt ein Wundbrand. Das sieht schrecklich aus.«
»Wird er …?«
»Solange er glaubt, lebt er. Und er glaubt.«
»Woran?«
»An sie.«
Schweigen.
»Branwen …«
»Ja, Morholt.«
»Wird Iseult Goldhaar … Wird die Königin … tatsächlich aus Tintagil hierherkommen?«
»Ich weiß es nicht. Aber er glaubt es.«
Schweigen.
»Morholt.«
»Ja, Branwen.«
»Ich habe Tristan gesagt, dass du hier bist. Er will dich sehen. Morgen.«
»Gut.«
Schweigen.
»Morholt …«
»Ja, Branwen.«
»Das in den Dünen …«
»Das hatte keine Bedeutung.«
»Hatte es. Ich bitte dich, versuch zu verstehen. Ich wollte nicht, ich durfte nicht zulassen, dass du umkommst. Ich durfte das nicht zulassen: Ein Armbrustbolzen, ein dummes Stück Holz und Metall, durchkreuzt … Ich durfte das nicht zulassen. Um keinen Preis, nicht einmalum den Preis deiner Verachtung. Aber dort … in den Dünen … Der Preis, den sie verlangten, erschien mir nicht zu hoch. Siehst du, Morholt …«
»Branwen … Genug, bitte. Es reicht.«
»Ich habe schon einmal mit mir selbst bezahlen müssen.«
»Branwen. Kein Wort mehr.«
Sie berührte meine Hand, und ihre Berührung, ob ihr es glaubt oder nicht, war ein roter Sonnenball, der nach einer langen und kalten Nacht aufgeht, der Geruch von Äpfeln, der Sprung eines Pferdes, das zur Attacke galoppiert. Sie schaute mir in die Augen, und ihr Blick war wie das Knattern von Fahnen, an denen der Wind reißt, wie Musik, wie die Berührung eines Pelzes an der Wange. Branwen, die lächelnde Branwen von Tara. Die ernste, ruhige und traurige Branwen von Cornwall mit den Augen voll Wissen. War etwas in dem Wein gewesen, den wir getrunken hatten? Wie in jenem, den Tristan und die Goldhaarige auf dem Meer getrunken hatten?
»Branwen …«
»Ja, Morholt?«
»Nichts. Ich wollte nur den Klang deines Namens hören.«
Schweigen. Das Rauschen des Meeres, gleichförmig und dumpf, darin ein Flüstern, aufdringlich, sich wiederholend, unerträglich hartnäckig.
Schweigen.
IV
»Morholt.«
»Tristan.«
Er hatte sich verändert. Damals in Átha Clíath war erein halbes Kind gewesen, ein junger Bursche mit verträumtem Blick, immer, unablässig mit demselben lieben Lächeln, von dem sich den Damen der Unterbauch zusammenzog. Immer dieses Lächeln, sogar, als wir in Dún Laoghaire mit den Schwertern aufeinander einschlugen. Jetzt aber … Jetzt war sein Gesicht grau, ausgemergelt, verkrampft, von Rinnsalen glänzenden Schweißes bedeckt, die Lippen aufgesprungen und zu einem Hufeisen des Schmerzes verzogen, die Augenhöhlen schwarz vor Qual.
Und er stank. Er stank nach Krankheit. Nach Tod. Nach Angst.
»Du lebst, Ire.«
»Ich lebe, Tristan.«
»Als sie dich forttrugen, sagten sie, du seiest tot. Du hattest …«
»Ich hatte einen gespaltenen Schädel und das Hirn halb draußen«, sagte ich, bemüht, es natürlich und gleichmütig klingen zu lassen.
»Ein Wunder. Jemand hat für dich gebetet, Morholt.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wohl kaum.«
»Die Wege des Schicksals sind unerforschlich.« Er runzelte die Stirn. »Du und Branwen … Ihr lebt beide. Und ich … In einer dummen Rangelei … Ich habe eins mit der Lanze in die Leistengegend gekriegt, sie ist durchgegangen, zerbrochen. Es ist wohl etwas vom Schaft abgesplittert, darum eitert die Wunde so. Das ist eine Strafe Gottes. Eine Strafe für all meine Schuld. Für dich, für Branwen. Und vor allem … für Iseult.«
Wieder runzelte er die Stirn, verzog den Mund. Ich wusste, welche Iseult er meinte. Auf einmal tat es mir sehr leid. In seinem verzerrten Gesicht lag alles. Die Ringe um ihre Augen, die Art, wie sie unbewusst die weißen Hände rang, die Finger bog. Die Bitterkeit in der Stimme. Wie oft, dachte ich, muss sie das gesehen haben. Dieser plötzlich,unwillkürlich verzogene Mund, wenn er »Iseult« sagte und nicht »Goldhaar« hinzufügen durfte. Sie tat mir leid, sie, die mit einer lebenden Legende vermählt war. Warum hatte sie in diese Heirat eingewilligt? Sie, die Tochter Hoels von Armorika, konnte schließlich jeden
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