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Etwas Endet, Etwas Beginnt

Etwas Endet, Etwas Beginnt

Titel: Etwas Endet, Etwas Beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrzej Sapkowski
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nicht, meine größere Erfahrung auszuspielen, ihm meinen eigenen, weniger klassischen Stil aufzuzwingen. Allmählich begann er mich zu ermüden, also versetzte ich ihm bei der ersten Gelegenheit einen unfairen Hieb in den Schenkel, unter dem Schild, der mit dem schreitenden Löwen von Liones verziert war.
    Hätten wir zu Fuß gekämpft, wäre er nicht auf den Beinen geblieben. Aber wir kämpften zu Pferde. Er beachtete nicht einmal, dass er blutete wie ein Schwein, dass er dunkles Karminrot auf den Sattel, die Kuvertüre, den Sand sprühte. Die Leute, die das mit ansahen, waren außer sich. Ich war mir sicher, dass der Blutverlust das Seine tun würde, und da ich selbst an der Grenze der Erschöpfung war, bedrängte ich ihn heftig, ungeduldig und unvorsichtig, um ein Ende zu machen. Und das war mein Fehler. Unwillkürlich hielt ich den Schild tief, weil ich glaubte, er werde sich mit einem ähnlich bösartigen, tief geführten Hieb revanchieren wollen. Plötzlich blitzte etwas in meinen Augen auf, und was danach geschah, weiß ich nicht.
    Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was danach geschah, dachte ich, während ich die weißen Hände Iseults betrachtete. War das möglich? Konnte es nur diesen Blitz gegeben haben, dort in Dún Laoghaire, den dunklen Korridor und gleich darauf die grauweiße Küste und das Schloss Carhaing?
    War das möglich?
    Und sofort, wie eine fertige Antwort, wie ein unwiderlegbarer Beweis, ein unschlagbares Argument kamen die Bilder, erschienen Gesichter, Namen, Worte, Farben, Gerüche. Alles war da, jeder Tag, jeder einzelne. Sowohl die kalten, kurzen Wintertage, trübe hinter den Fischblasenin den Fenstern, als auch die Tage im Frühling, warm, duftend, nach Regen und dampfender Erde riechend. Die Sommertage, lang und heiß, gelb von der Sonne und den Sonnenblumen. Die Herbsttage, die die Anhöhen bei Emain Macha in tausend Farben hüllten. Und alles, was in jenen Tagen geschehen war   – Märsche, Kämpfe, Feldzüge, Jagden, Gelage, Frauen, wieder Kämpfe, wieder Gelage und wieder Frauen. Die Beltaine-Feuer und der Rauch von Samhain. Alles. Was von jenem Moment in Dún Laoghaire bis zum heutigen verregneten Tag an der Küste von Armorika geschehen war.
    Das alles war gewesen. Hatte stattgefunden. Sich ereignet. Was ich daher nicht verstehen konnte: Das alles erschien mir   …
    Unwichtig.
    Unwesentlich.
    Ich holte tief Luft. Diese Erinnerung hatte mich ermüdet. Ich fühlte mich fast ebenso müde wie damals während des Kampfes. Wie damals fühlte ich den Schmerz im Genick, das Gewicht meiner Schultern. Die Narbe am Kopf pulsierte, riss an mir mit wütendem Schmerz.
    Iseult Weißhand, die seit einer ganzen Weile zum Fenster geschaut hatte, zum wolkenverhangenen Horizont, wandte mir langsam das Gesicht zu. »Wozu bist du hergekommen, Morholt von Ulster?«
    Was konnte ich ihr antworten? Ich wollte mich vor ihr nicht mit der schwarzen Leere im Gedächtnis verraten. Es hatte keinen Sinn, ihr von dem schwarzen, endlosen Korridor zu erzählen. Es blieb wie üblich der Ritterbrauch, die allgemein geachtete und anerkannte Norm. Ich erhob mich.
    »Ich bin hier zu deinem Befehl, Frau Iseult«, sagte ich und verneigte mich steif. Ich hatte mir solch eine Verbeugung bei Kay abgeschaut, in Camelot; sie war mir immerwürdevoll, distinguiert und nachahmenswert erschienen. »Ich bin gekommen, um jeden deiner Befehle zu erfüllen. Verfüge über mein Leben, Frau Iseult.«
    »Ich fürchte«, sagte sie leise und bog ihre Finger, »dass es dafür schon zu spät ist.«
    Ich sah eine Träne, einen dünnen, glänzenden Strich, der aus ihrem Augenwinkel abwärts glitt, seinen Lauf am Nasenflügel verlangsamte. Ich nahm den Geruch von Äpfeln wahr.
    »Die Legende geht zu Ende, Morholt.«
    III
    Beim Abendessen leistete uns Iseult keine Gesellschaft. Wir waren allein, Branwen und ich, nicht gerechnet den Kaplan mit der gänzenden Tonsur. Der störte uns jedoch nicht. Nachdem er ein kurzes Gebet gemurmelt und den Tisch gesegnet hatte, widmete er sich dem Futtern. Bald nahm ich ihn überhaupt nicht mehr wahr. So, als sei er die ganze Zeit über dagewesen. Immer.
    »Branwen.«
    »Ja, Morholt?«
    »Woher hast du es gewusst?«
    »Ich erinnere mich von Irland her an dich, vom Hofe Diarmuids. Gut erinnere ich mich an dich. Nein, ich glaube nicht, dass du dich an mich erinnerst. Du hast mich damals nicht beachtet, obwohl ich mich   – heute kann ich es gestehen   – bemüht habe, deine Beachtung zu finden. Das ist

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