Etwas Endet, Etwas Beginnt
Schlaf. Ruhe dich aus.«
»Haltet Ausschau … nach dem Schiff …«
»Gut, Tristan. Brauchst du etwas? Soll ich dir … die Frau Weißhand schicken?«
Er verzog den Mund.
»Nein.«
V
Wir stehen auf den Mauern, Branwen und ich. Es nieselt, wie das eben ist in der Bretagne. Der Wind frischt auf, zaust Branwens Haare, schmiegt den Rock an ihre Hüften. Die Windstöße ersticken die Worte auf unseren Lippen. Sie ziehen Tränen aus den Augen, die auf den Horizont gerichtet sind.
Keine Spur von einem Segel.
Ich schaue Branwen an. Beim Lugh, welche Freude es mir bereitet, sie anzuschauen. Ich könnte sie ohne Ende anschauen. Und dabei war sie mir, als sie Iseult gegenüberstand, unschön vorgekommen. Wo hatte ich nur meine Augen gehabt?
»Branwen?«
»Ich höre, Morholt.«
»Du hast am Strand auf mich gewartet. Du wusstest, dass …«
»Ja.«
»Woher?«
»Du weißt es nicht?«
»Nein. Ich weiß es nicht … ich erinnere mich nicht. Branwen, genug von diesen Rätseln. Das ist zu viel für meinen Kopf. Für meinen zerschlagenen Kopf.«
»Die Legende kann ohne uns nicht zu Ende gehen. Ohne unser Zutun. Deines und meines. Ich weiß nicht, warum, aber wir sind in dieser Geschichte wichtig, unerlässlich. In der Geschichte von einer großen Liebe, die ein Strudel ist, der alles und alle einsaugt. Weißt du nicht, Morholt von Ulster, verstehst du nicht, welch mächtige Kraft dieses Gefühl ist? Eine Kraft, die die natürliche Ordnung der Dinge umzustoßen vermag? Verstehst du das nicht?«
»Branwen … Ich verstehe nicht. Hier, auf dem Schloss Carhaing …«
»Etwas wird sich ereignen. Etwas, das nur von uns abhängt. Und darum sind wir hier. Wir müssen hier sein, unabhängig von unserem Willen. Darum wusste ich, dass du auf dem Strand erscheinen wirst. Darum durfte ich nicht zulassen, dass du in den Dünen umkommst …«
Ich weiß nicht, was mir den Anstoß dazu gab. Vielleicht ihre Worte, vielleicht die plötzliche Erinnerung an die Augen der Goldhaarigen. Vielleicht etwas, das ich vergessen hatte, als ich durch den langen, endlosen, dunklen Korridor ging. Aber ich tat es ohne Überlegung, ohne Berechnung.
Ich nahm sie in die Arme.
Sie schmiegte sich an mich, nachgiebig und bereitwillig, und ich dachte, dass dieses Gefühl in der Tat eine mächtige Kraft sein kann. Doch ebensolche Macht hat sein langes, schmerzliches und erzwungenes Fehlen.
Es währte einen Augenblick. So kam es mir jedenfalls vor.
Branwen löste sich langsam aus meiner Umarmung, wandte sich ab, die Windstöße rissen an ihrem Haar.
»Etwas hängt von uns ab, Morholt. Von dir und von mir. Ich fürchte mich.«
»Wovor?«
»Vor dem Meer. Und vor dem Boot, das kein Steuer hat.«
»Ich bin bei dir, Branwen.«
»Sei es, Morholt.«
VI
Heute ist ein anderer Abend. Ein ganz anderer. Ich weiß nicht, wo Branwen ist. Vielleicht wacht sie gemeinsam mit Iseult am Bett Tristans, der wieder bewusstlos ist undsich im Fieber hin und her wirft. Er wirft sich hin und her, flüstert: »Iseult …« Iseult Weißhand weiß, dass nicht sie es ist, nach der Tristan ruft, aber sie zittert, wenn sie diesen Namen hört. Und sie ringt die weißen Hände. Branwen, wenn sie dort bei ihr ist, hat nasse Diamanten in den Augen. Branwen … Schade, dass … Ach, verdammt!
Ich aber … Ich trinke mit dem Kaplan. Ich weiß nicht, wo dieser Kaplan hier herkommt. Vielleicht war er schon immer da?
Wir trinken, und das schnell. Und viel. Ich weiß, dass mir das schadet. Ich soll das nicht tun, mein zerschmetterter Kopf verträgt das nicht besonders gut. Wenn ich mich betrinke, habe ich manchmal Halluzinationen. Kopfschmerzen. Manchmal werde ich ohnmächtig. Zum Glück selten.
Aber was soll’s, trinken wir. Ich muss, verdammt, die Unruhe in mir unterdrücken. Das Händezittern vergessen. Das Schloss Carhaing. Branwens Augen, die voll Furcht vor dem Unbekannten sind. Ich will in mir das Heulen des Windes verdrängen, das Rauschen der Wellen, das Schwanken des Decks unter den Füßen. Und diesen Geruch nach Äpfeln, der mich verfolgt.
Wir trinken, der Kaplan und ich. Uns trennt der Eichentisch, schon stark von Wein befleckt. Uns trennt nicht nur der Tisch.
»Trink, Pfaffe.«
»Gott mir dir, mein Sohn.«
»Ich bin nicht dein Sohn.«
Wie viele andere trage ich seit der Schlacht von Badon ein Kreuz auf der Rüstung, aber mich hat nicht der Mystizismus erfasst, wie es vielen anderen widerfahren ist. Religion lässt mich ziemlich
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