Etwas ist faul
Hilfe erwarten »Lass die Dinge auf sich beruhen«, war Haydocks Devise.
Haydock unterhielt sich mit einer Frau. Sie verabschiedete sich jetzt von ihm und kam auf Evans zu. Der Inspektor erkannte sie. Es war Mrs Merrowdene. Impulsiv stellte er sich ihr genau in den Weg.
Mrs Merrowdene war eine sehr gut aussehende Frau. Sie hatte eine breite, gerade Stirn und einen sanften Gesichtsausdruck. Mit ihren wunderschönen braunen Augen glich sie einer italienischen Madonna, und das unterstrich sie noch dadurch, dass sie ihr Haar in der Mitte gescheitelt trug. Ihre Stimme war warm und dunkel.
Sie lächelte Evans zu.
»Ich dachte mir doch, dass Sie es waren, Mrs Anthony – ich meine, Mrs Merrowdene«, sagte er hintergründig.
Diesen Fehler hatte er absichtlich gemacht, und er beobachtete sie dabei, ohne es sich anmerken zu lassen. Er sah, wie sich ihre Augen weiteten und wie sie kurz den Atem anhielt. Aber sie zuckte mit keiner Wimper. Sie betrachtete ihn würdevoll.
»Ich suche meinen Mann«, sagte sie ruhig. »Haben Sie ihn irgendwo gesehen?«
»Er war dort drüben, als ich ihn zuletzt sah.«
Sie gingen Seite an Seite in der bezeichneten Richtung und plauderten. Der Inspektor fühlte, wie seine Bewunderung wuchs. Welch eine Frau! Diese Selbstbeherrschung! Dieses wunderbare Gleichgewicht! Ein bemerkenswerter Mensch – und sehr gefährlich.
Er fühlte sich unbehaglich, obgleich er mit seinem ersten Schritt zufrieden war. Er hatte sie wissen lassen, dass er sie erkannt hatte. Sie würde auf der Hut sein und es nicht wagen, irgendetwas Übereiltes zu tun. Blieb noch Merrowdene. Wenn man ihn nur warnen könnte!
Sie fanden den kleinen Mann, wie er abwesend eine Porzellanpuppe betrachtete, die er gewonnen hatte. Seine Frau schlug vor, nachhause zu gehen, und er stimmte freudig zu. Mrs Merrowdene wandte sich an den Inspektor.
»Wollen Sie nicht mitkommen und eine Tasse Tee bei uns trinken, Mr Evans?«
Lag da nicht ein leichter Ton von Herausforderung in ihrer Stimme? Er meinte, ihn bemerkt zu haben.
»Vielen Dank, Mrs Merrowdene. Gern.«
Auf dem Weg unterhielten sie sich über alltägliche Dinge. Die Sonne schien, und ein leichter Wind wehte. Die Welt schien ruhig und friedlich.
Ihr Hausmädchen sei auch bei dem Fest, erklärte Mrs Merrowdene, als sie in dem hübschen Landhaus ankamen. Sie ging in ihr Zimmer, um ihren Hut abzusetzen. Dann kam sie zurück und begann den Tee bereitzustellen. Auf einem kleinen silbernen Kocher brachte sie Wasser zum Sieden. Aus einem Fach neben dem Kamin nahm sie drei hauchdünne Schalen und Untertassen.
»Wir haben einen ganz speziellen chinesischen Tee«, sagte sie. »Und wir trinken ihn immer auf chinesische Weise, aus Schalen, nicht aus Tassen.«
Sie brach ab, blickte in eine der Schalen und tauschte sie mit einem Ausdruck von Verärgerung gegen eine andere aus.
»George, das ist nicht nett von dir. Du hast schon wieder eine dieser Schalen benutzt«, schalt sie ihren Mann.
»Es tut mir leid, Liebes«, antwortete der Professor entschuldigend. »Sie haben eine so brauchbare Größe. Die anderen, die ich bestellt habe, sind noch nicht angekommen.«
»Eines schönen Tages wirst du uns alle vergiften«, meinte seine Frau mit einem halben Lachen. »Mary findet sie im Labor und bringt sie mit herauf. Wenn nicht etwas sehr Auffälliges darin ist, macht sie sich nicht die Mühe, sie abzuwaschen. Neulich hast du sogar eine davon für Zyankali benutzt. Wirklich, George, es ist höchst gefährlich.«
Merrowdene schien etwas ärgerlich.
»Mary hat überhaupt nichts aus meinem Labor wegzunehmen. Sie darf dort nichts anfassen.«
»Aber wir lassen oft unsere Tassen nach dem Tee dort stehen. Woher soll sie das wissen? Sei doch vernünftig, Lieber.«
Der Professor ging in sein Laboratorium und murmelte vor sich hin. Lächelnd goss Mrs Merrowdene kochendes Wasser über den Tee und blies die Flamme auf dem silbernen Kocher aus.
Evans war überrascht. Aus irgendeinem Grunde ließ sich Mrs Merrowdene in die Karten blicken. Sollte das der »Unfall« werden? Sprach sie bewusst von all dem, um sich von vornherein ein Alibi zu verschaffen? Er wäre gezwungen, zu ihren Gunsten auszusagen, wenn der »Unfall« eines Tages passierte. Wie dumm von ihr, denn bevor…
Plötzlich hielt er den Atem an. Sie hatte den Tee in drei Schalen gegossen. Eine setzte sie vor sich hin, eine vor ihn und die dritte auf einen kleinen Tisch beim Feuer, in der Nähe des Sessels, in dem gewöhnlich ihr Mann saß. Als sie
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