Etwas ist faul
In London wimmelte es offensichtlich von derartigen weiblichen Wesen, und mindestens vierzig bis fünfzig davon hatten sich vor der Endersleigh Street 7 versammelt.
»Die Konkurrenz«, seufzte Jane. »Ich reihe mich am besten schleunigst in die Warteschlange ein.«
Sie tat es genau in dem Moment, als drei weitere Mädchen um die Straßenecke bogen. Hinter ihnen tauchten noch andere auf. Jane vertrieb sich die Zeit, indem sie ihre unmittelbaren Nachbarinnen genau unter die Lupe nahm. Bei allen entdeckte sie glücklicherweise etwas, das nicht stimmte – blonde statt dunkle Wimpern; Augen, die mehr grau als blau waren; blonde Haare, die ihre Farbe der Kunst eines Friseurs und nicht der Natur verdankten, interessante Nasenformen und Figuren, die man nur mit größter Nachsicht als schlank bezeichnen konnte. Jane fasste wieder Mut.
»Ich glaube, ich habe geradeso gut eine Chance wie alle anderen hier«, murmelte sie vor sich hin. »Bin gespannt, um was es sich bei der Sache dreht. Ein Statistinnenjob hoffentlich.«
Die Warteschlange rückte langsam aber stetig voran. Nach einer Weile setzte, aus dem Haus kommend, ein zweiter Strom von Mädchen ein. Einige von ihnen warfen verächtlich die Köpfe zurück, andere grinsten spöttisch.
»Abgelehnt«, frohlockte Jane. »Ich hoffe zu Gott, es ist noch nicht alles besetzt, bis ich drinnen bin.«
Und die Schlange rückte immer noch vorwärts. Ängstliche Blicke senkten sich auf winzige Taschenspiegel, Nasen wurden frisch gepudert, Lippenstifte gezückt.
Ich wünschte, ich hätte einen fescheren Hut, dachte Jane betrübt.
Endlich war sie an der Reihe. Im Hausflur befand sich auf der einen Seite eine Glastür mit der Aufschrift »Messrs. Cuthbertsons«. Durch diese Tür wurden die Bewerberinnen einzeln eingelassen. Nun kam Jane dran. Sie holte tief Luft und ging hinein.
Sie gelangte in ein Vorzimmer, das offensichtlich für das Büropersonal bestimmt war. An seinem Ende war eine weitere Glastür. Jane wurde angewiesen, durch diese Tür zu gehen. Sie tat es und sah sich nun in einem wesentlich kleineren Raum. Darin stand ein riesiger Schreibtisch, und hinter diesem saß ein Mann mittleren Alters mit scharfen Augen und einem dichten, ziemlich fremdländisch wirkenden Schnurrbart. Sein Blick glitt über Jane hinweg, dann deutete er auf eine Tür zur Linken.
»Bitte, warten Sie dort drinnen«, sagte er knapp.
Jane gehorchte. In dem Raum, den sie nun betrat, waren schon mehrere Personen. In steifer Haltung saßen dort fünf Mädchen, die sich alle untereinander mit bösen Blicken maßen. Es war Jane klar, dass man sie unter die aussichtsreichsten Kandidatinnen eingereiht hatte, und sie schöpfte neue Hoffnung. Nichtsdestoweniger musste sie zugeben, dass diese fünf Mädchen hier den in der Annonce geforderten Bedingungen ebenso entsprachen wie sie selbst.
Die Zeit verging. Durch das Büro nebenan strömten offenbar weitere Scharen von Mädchen. Die meisten wurden durch eine andere Tür, die zum Korridor ging, wieder nach draußen geschleust, aber hin und wieder gesellte sich ein Neuankömmling zur Gruppe der Auserwählten. Um halb sieben waren schließlich vierzehn junge Damen in dem Nebenzimmer versammelt.
Jane hörte Stimmengemurmel aus dem Büro, und kurz darauf trat der ausländisch aussehende Herr, den sie im Geist wegen seines martialischen Schnurrbarts den »Oberst« getauft hatte, in die Tür.
»Meine Damen, ich würde mich nun gern einzeln mit Ihnen unterhalten«, sagte er. »In der Reihenfolge, in der Sie gekommen sind, bitte.«
Jane war demnach die Sechste auf der Liste. Zwanzig Minuten verstrichen, ehe sie hereingerufen wurde. Der »Oberst« stand aufrecht im Zimmer, die Hände auf dem Rücken verschränkt, und stellte ihr rasch hintereinander einige Fragen. Er prüfte ihre Französischkenntnisse und maß schließlich ihre Größe.
»Es wäre möglich, Mademoiselle«, sagte er dann auf Französisch, »dass Sie den Anforderungen entsprechen. Ich weiß es noch nicht. Aber es wäre möglich.«
»Um was für einen Posten handelt es sich denn, wenn ich fragen darf«, erkundigte sich Jane ohne Umschweife.
Er zuckte mit den Achseln.
»Das kann ich Ihnen noch nicht sagen. Wenn die Wahl auf Sie fällt – dann werden Sie es erfahren.«
»Das scheint mir alles sehr geheimnisvoll«, wandte Jane ein. »Ich kann unmöglich eine Tätigkeit annehmen, ohne genau darüber Bescheid zu wissen. Darf ich fragen, ob es etwas mit dem Film zu tun hat?«
»Dem Film? Nein,
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