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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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in die Langeweile Ihres hiesigen Aufenthalts Abwechslung zu bringen. Wenn Sie nur bei Monsieur Grandet blieben, – großer Gott! was sollte da mit Ihnen werden? Ihr Onkel ist ein alter Knauser, der nichts als seinen Gewinn im Auge hat; Ihre Tante ist ein devotes Geschöpf, das nicht zwei Gedanken auf einmal fassen kann, und Ihre Cousine ist ein Gänschen, ohne Erziehung und ohne Mitgift, die ihr Leben damit zubringt, alte Kleider und Wäsche zu putzen und zu flicken.«
    ›Sie ist famos, diese Frau‹, dachte Charles Grandet bei sich, während er auf die Schöntuerei von Madame des Grassins einging.
    »Du scheinst Monsieur für dich allein mit Beschlag zu belegen, Frau«, sagte lachend der große dicke Bankier.
    Diese Äußerung veranlaßte den Notar und den Präsidenten zu einigen mehr oder weniger bissigen Bemerkungen. Der Abbé aber sah ihnen listig zu, und indem er eine Prise nahm und die Dose anbietend weiterreichte, faßte er die Gedanken der andern zusammen. »Wer anders als Madame«, sagte er, »könnte Monsieur die Honneurs von Saumur machen?«
    »Ah! Wie meinen Sie das, Monsieur l'Abbé?« fragte Monsieur des Grassins.
    »Ich meine das, Monsieur, im schmeichelhaftesten Sinne für Sie, für Madame, für Saumur und für den jungen Monsieur«, ergänzte der durchtriebene Alte, sich an Charles wendend.
    Ohne den Anschein, auf die Unterhaltung zwischen Madame des Grassins und Charles geachtet zu haben, hatte der Abbé dennoch ihren Inhalt erraten.
    »Monsieur«, wandte sich jetzt Adolphe an Charles und versuchte, eine unbefangene Miene aufzusetzen, »ich weiß nicht, ob Sie sich meiner noch erinnern; ich hatte das Vergnügen, auf einem Ball beim Baron de Nucingen Ihr Gegenüber zu sein, und …«
    »O gewiß, Monsieur, gewiß!« erwiderte Charles, verwundert, der Gegenstand so übertriebener Aufmerksamkeit zu sein. »Monsieur ist Ihr Sohn?« wandte er sich jetzt fragend an Madame des Grassins.
    Der Abbé sah boshaft auf die Mutter.
    »Ja, Monsieur«, sagte diese.
    »Demnach waren Sie schon ziemlich früh — ich meine jung – in Paris?« bemerkte Charles nun zu Adolphe.
    »Ja, ja!« sagte der Abbé. »Wir schicken sie nach Babylon, sobald sie entwöhnt sind.« Madame des Grassins warf dem Abbé einen langen verwunderten Blick zu.
    »Ja, man muß zu uns in die Provinz kommen«, fuhr er fort, »um Frauen in den Dreißigern, deren Söhne vor dem Doktorexamen stehen, von solcher Frische zu finden, wie Madame es ist. Ich glaube noch immer die Zeit zu sehen, Madame, wo die jungen Leute bei den Ballfesten auf die Stühle stiegen, um Sie tanzen zu sehen«, fügte der Abbé hinzu, indem er sich an seine Gegnerin wandte. »Für mich sind Ihre Eroberungen von gestern ...«
    ›Oh, der alte Teufel!‹ dachte Madame des Grassins, ›errät er meine Absichten?‹
    ›Es scheint, ich werde in Saumur eine bedeutende Rolle spielen‹, sagte sich Charles. Und er knöpfte seinen Rock auf, schob die Hand in die Weste und ließ den Blick ins Weite schweifen. Es war dies die Pose, die Chantrey seinem Lord Byron gegeben hat.
    Die Zerstreutheit Vater Grandets, oder besser gesagt, sein völliges Aufgehen in der Lektüre seines Briefes entging weder dem Notar noch dem Präsidenten, die versuchten, aus den vom Kerzenlicht hell bestrahlten Mienen des Biedermanns den Inhalt des Schreibens zu erraten. Der Weinbauer hatte Mühe, seinem Gesicht den gewohnten Ausdruck zu geben. Übrigens kann man sich leicht ein Bild machen, wie sehr die Ruhe dieses Mannes bei dem Lesen des folgenden Briefes erschüttert werden mußte:
    ›Lieber Bruder! Nun sind es bald dreiundzwanzig Jahre, daß wir einander nicht gesehen haben. Meine Hochzeit war der Anlaß unseres letzten Beisammenseins, und fröhlich schieden wir damals voneinander. Gewiß, ich konnte nicht voraussehen, daß Du eines Tages die einzige Stütze einer Familie sein würdest, deren Begründung Du damals beifällig begrüßtest. Wenn Du diesen Brief in Händen hältst, werde ich nicht mehr sein. In meiner angesehenen Stellung wollte ich die Schmach eines Bankrotts nicht überleben. Bis zum letzten Augenblick habe ich mich am Rande des Abgrundes gehalten, immer in der Hoffnung, wieder emporkommen zu können. Es ist aus! Ich muß in den Abgrund springen! Der gemeinsame Bankrott meines Bankiers und Roguins, meines Notars, raubte mir den letzten Halt und nimmt mir alles! Das Unglück will, daß ich etwa vier Millionen Schulden habe, ohne mehr als fünfundzwanzig Prozent Aktiva anbieten zu können.

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