Eugénie Grandet (German Edition)
Meine Lagerweine leiden gegenwärtig unter der vernichtenden Baisse, die eine Folge des Überangebots und der Qualität eurer Ernten ist. In drei Tagen heißt es in Paris: ›Monsieur Grandet war ein Lump!‹ Ich werde mich ehrlich und rechtschaffen in das Bahrtuch der Schande betten. Ich beraube meinen Sohn seines ehrlichen Namens und des Vermögens seiner Mutter. Er weiß nichts davon, der arme Junge, den ich abgöttisch liebe. Wir haben zärtlich Abschied genommen; glücklicherweise sah er nicht, daß in diesen Abschied die letzten Wellen meines Lebens brandeten. Wird er mich nicht eines Tages verfluchen? Bruder, lieber Bruder! von unsern Kindern verwünscht zu werden, das ist entsetzlich. Gegen unseren Fluch können sie Einspruch erheben, der ihrige aber ist unwiderruflich.
Grandet! Du bist der Ältere von uns beiden, Du schuldest mir Deinen Schutz: bemühe Dich, daß Charles mir kein bitteres Wort mit ins Grab gibt! Lieber Bruder, wenn ich Dir mit meinem Blut und mit meinen Tränen schriebe, es wäre nicht so schmerzlich als das Seelenleid, dem ich jetzt unterliege, denn dann würde ich doch weinen, bluten, sterben, würde nicht mehr leiden! So aber leide ich und sehe trocknen Auges dem Tod entgegen.
Du bist nun also der Vater Charles'. Er hat keine Verwandten mütterlicherseits. Du weißt das ja, kennst die Gründe! () warum beugte ich mich nicht den sozialen Vorurteilen? Warum folgte ich der Liebe? Warum heiratete ich die natürliche Tochter eines Edelmannes? Charles hat keine Familie mehr. O mein unglücklicher Sohn! Mein Sohn!
Höre, Grandet! Ich schreibe nicht in der Absicht, für mich Deine Hilfe zu erflehen. Dein Vermögen ist wohl auch nicht so beträchtlich, um eine Hypothek von drei Millionen zu tragen. Aber für meinen Sohn flehe ich zu Dir! Sieh, mein Bruder, ich denke an Dich, und meine Hände falten sich. Grandet, sterbend vertraue ich Dir Charles an! Nun erfaßt mich beim Anblick meiner Pistolen kein Schmerz mehr und kein Grauen; mich tröstet der Gedanke, daß Du ihm Vater sein wirst. Charles liebt mich sehr; ich war so gut zu ihm, ich trat seinen Wünschen nie entgegen: er wird mir nicht fluchen. Und dann – Du wirst sehen – er ist sanft, weichherzig – er gleicht seiner Mutter; er wird Dir nie Kummer machen. Armes Kind! Im Überfluß aufgewachsen, sind ihm alle diese Entbehrungen fremd, die uns —- mir und Dir – das frühere Elend auferlegte. Und nun ist er ruiniert, verlassen! Ja, alle seine Freunde werden ihn meiden, und ich bin die Ursache dieser Kränkungen. Ach, ich wollte, mein Arm wäre so stark, ihn mit einem einzigen wuchtigen Hieb in den Himmel zu befördern, an die Seite seiner Mutter!
Torheit! – Ich komme auf mein Unglück, auf Charles' Unglück zurück. Ich habe ihn also zu Dir geschickt, damit Du ihm von meinem Tod und von seinem künftigen Los angemessen Mitteilung machst. Sei ihm ein Vater, aber ein guter Vater! Entreiße ihn nicht zu plötzlich seinem Müßiggang, Du würdest ihn töten! Ich bitte ihn kniefällig, auf die Schuldforderung zu verzichten, die er als Erbe seiner Mutter an mich stellen kann. Doch das ist eine überflüssige Bitte; er hat Ehre im Leibe und wird fühlen, daß er sich nicht auch noch meinen Gläubigern zugesellen darf. Laß ihn rechtzeitig auf meine Hinterlassenschaft verzichten. Enthülle ihm die harten Lebensbedingungen, die seiner durch mich warten; und wenn er mir seine Anhänglichkeit bewahrt, so sage ihm in meinem Namen, daß für ihn noch nicht alles verloren ist. Ja, die Arbeit, die seinerzeit uns beide errettet hat, kann auch ihm das Vermögen wiedergeben, das ich ihm geraubt habe. Und wenn er auf das Wort seines Vaters hören will, der ach wie gern noch aus dem Grabe zu ihm treten und ihm raten möchte, so möge er fortziehen, nach Ostindien.
Lieber Bruder! Charles ist ein rechtschaffener, willensstarker junger Mann. Gib ihm, was er zu seiner Reise und für den Anfang nötig hat; er stürbe lieber, als daß er es unterließe, Dir seinerzeit das Geliehene zurückzuerstatten. Und Du wirst ihn unterstützen, Grandet! Sonst müßten Dich ja Gewissensbisse foltern! Ach, fände mein Kind bei Dir weder Hilfe noch Zuneigung, so würde ich droben Gottes ewige Rache auf Dich herabrufen.
Wenn es mir möglich gewesen wäre, irgendeine Summe zu retten, so hätte ich wohl das Recht gehabt, ihm als dem Erbfolger seiner Mutter etwas Geld zu hinterlassen. Aber die Zahlungen meines Monatsabschlusses haben alle meine Quellen erschöpft. Es war
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