Eugénie Grandet (German Edition)
den Geschmack des Cousins nachempfinden zu können.
Sie kam tatsächlich gerade recht, um ihrer Mutter und Nanon, die alles getan zu haben meinten, nachzuweisen, daß noch gar nichts getan sei. Sie brachte die Große Nanon auf den Einfall, die kaltfeuchten Leintücher an einem Holzkohlenofen zu wärmen; sie bedeckte eigenhändig den alten Tisch mit einer sauberen Decke und schärfte Nanon ein, die Decke alltäglich durch eine frische zu ersetzen. Sie überzeugte ihre Mutter von der Notwendigkeit, im Kamin ein tüchtiges Feuer zu machen, und trug Nanon auf, einen Haufen Holz heraufzubringen und im Korridor aufzustapeln, dem Vater jedoch nichts davon zu sagen. Sie selbst lief in den Saal hinunter, nahm aus einem der Eckschränke ein altes Lacktablett, das aus der Hinterlassenschaft des alten Monsieur de la Bertellière stammte, ergriff ein sechseckig geschliffenes Glas, ein kleines vergoldetes Löffelchen, ein altertümliches Flakon, dem Amoretten eingraviert waren, und setzte das alles frohlockend in des Cousins Zimmer auf den Kaminsims. Sie hatte jetzt in einer Viertelstunde mehr Einfälle, als sie in ihrem ganzen bisherigen Leben gehabt hatte.
»Mama«, sagte sie, »der Cousin wird den üblen Geruch eines Talglichtes nicht aushalten; wollen wir nicht eine Wachskerze kaufen?...«
Leicht und heiter wie ein kleiner Vogel eilte sie in ihr Zimmer, holte ihre Geldbörse und entnahm derselben das Hundertsousstück, das sie für diesen Monat als Taschengeld erhalten hatte.
»Hier, Nanon«, sagte sie, »beeile dich!«
»Aber was wird dein Vater sagen?« Diesen schrecklichen Einwurf wagte Madame Grandet endlich, als ihre Tochter mit einer kostbaren Zuckerdose aus Sèvres herbeikam, die Grandet von Froidfond mitgebracht hatte. »Und wo willst du denn Zucker hernehmen? Bist du toll?«
»O Mama, Nanon kann ja außer der Kerze auch etwas Zucker kaufen.«
»Aber dein Vater?«
»Sollte er seinem Neffen nicht gestatten, ein Glas Zuckerwasser zu trinken? Übrigens wird er es gar nicht bemerken.«
»Dein Vater sieht alles«, sagte Madame Grandet kopfschüttelnd. Nanon zögerte, sie kannte ihren Herrn.
»So geh doch, Nanon – da heute mein Geburtstag ist.«
Nanon ließ ein breites Lachen hören und gehorchte, denn das war der erste Scherz, den ihre junge Herrin jemals gemacht hatte.
Während Eugénie und ihre Mutter derart beschäftigt waren, das von Monsieur Grandet seinem Neffen angewiesene Zimmer herzurichten, fühlte sich Charles als der Gegenstand der Aufmerksamkeit von Madame des Grassins; sie kokettierte mit ihm.
»Sie beweisen Mut, Monsieur«, sagte sie, »da Sie die Freuden der Großstadt verlassen, um den Winter in Saumur zu verbringen. Aber wenn Sie sich nicht allzusehr vor uns fürchten, so werden Sie sehen, daß man sich auch hier bei uns zu unterhalten weiß.«
Sie warf ihm einen koketten Blick zu, den Blick der Provinzlerin, der soviel Sprödigkeit und zögernde Begier enthält, wie der Blick des Mönchs, dem jede Freude als Raub oder Sünde erscheint.
Charles fühlte sich hier in diesem öden Saal so bedrückt, so himmelweit entfernt von dem prächtigen Landschloß und dem festlichen Leben, das er bei seinem Onkel vermutet hatte, daß er beim Anblick von Madame des Grassins schließlich immerhin etwas empfand, als sähe er das schwache Abbild einer Pariserin. Er dankte liebenswürdig für die halbe Einladung, die ihm soeben zuteil geworden war, und es entspann sich nun eine Unterhaltung, in deren Verlauf Madame des Grassins ihre Stimme leiser und leiser werden ließ, um sie mit der Diskretion ihrer Bekenntnisse in Einklang zu bringen. Sowohl sie als auch Charles hatten ein Bedürfnis, sich mitzuteilen. Nachdem sie eine Zeitlang kokett geplaudert und einander Schmeicheleien gesagt hatten, gelang es der gewandten Provinzlerin, während die andern vom Verkauf der Weinernte, dem Hauptgesprächsgegenstand von ganz Saumur, redeten und sie sich also unbeobachtet glaubte, ihm folgende Mitteilung zu machen: »Wenn Sie uns die Ehre Ihres Besuches geben würden, Monsieur, so würden Sie sicherlich meinem Mann ebenso wie mir eine große Freude machen. Unser Haus ist das einzige in Saumur, wo Sie sowohl die Spitzen der Kaufmannschaft als auch den Adel antreffen werden. Wir gehören beiden Gesellschaftskreisen an, und weil man sich gut unterhält bei uns, so gibt man sich da gern ein Stelldichein. Mein Mann – ich sage es mit Stolz – ist sowohl in diesen wie jenen Kreisen hochgeschätzt. Also wir wollen versuchen,
Weitere Kostenlose Bücher