Eugénie Grandet (German Edition)
schlecht, wie die jungen Leute von heute es sind. Ich wollte Sie nur ...«
»Wagen Sie zu behaupten, Sie hätten nicht daran gedacht, mir schlechte Dinge anzuraten? Das ist doch ganz klar! Wenn dieser junge Mann, der – ich gebe es zu – sehr sympathisch ist, mir den Hof machen würde, so würde er nicht an die Cousine denken. Ich weiß es, in Paris opfern sich die guten Mütter auf solche Weise für das Glück ihrer Kinder; wir sind aber hier in der Provinz, Monsieur l'Abbé.«
»Jawohl, Madame.«
»Und«, fuhr sie fort, »ich würde nicht – und auch Adolphe würde nicht – diesen Preis bezahlen wollen, und wenn es uns hundert Millionen einbrächte.«
»Madame, ich habe nicht von hundert Millionen gesprochen. Die Versuchung ginge vielleicht sowohl uns wie Ihnen über die Kraft. Ich glaube nur, daß eine anständige Frau sich in allen Ehren kleine bedeutungslose Koketterien erlauben kann, die gewissermaßen zu ihren gesellschaftlichen Pflichten gehören und die ...«
»Sie glauben?«
»Sollen wir nicht alle versuchen, Madame, uns einander angenehm zu machen ...? Gestatten Sie, daß ich mir die Nase schnäuze ... Ich versichere Ihnen, Madame«, fuhr er fort, »daß er Sie mit etwas schmeichelhafterem Interesse betrachtete, als er für mich übrig hatte; aber ich verzeihe ihm, daß er der Schönheit vor dem Alter den Vorzug gab.«
»Es ist klar«, hörte man nun die grobe Stimme des Präsidenten, »daß Monsieur Grandet in Paris seinen Sohn mit Heiratsplänen nach Saumur geschickt hat.«
»Dann wäre der Cousin doch nicht so wie eine Bombe hereingeplatzt«, entgegnete der Notar.
»Das besagt nichts«, bemerkte Monsieur des Grassins; »der gute Mann ist eben ein Geheimniskrämer.«
»Des Grassins, mein Freund, ich habe ihn zum Diner eingeladen, den jungen Mann. Du mußt also gehen und Monsieur und Madame de Larsonnière bitten und die du Hautoy mit der hübschen Mademoiselle du Hautoy, wohlverstanden; vorausgesetzt allerdings, daß sie sich für diesen Tag gut kleidet. Ihre Mutter kleidet sie aus Eifersucht so schlecht. Ich hoffe, Messieurs, daß auch Sie uns die Ehre geben?« fügte Madame des Grassins hinzu und blieb stehen, um sich zu den beiden Cruchots zurückzuwenden. »Hier sind wir bei Ihnen angelangt«, sagte der Notar.
Nachdem die drei Cruchots sich von den drei des Grassins verabschiedet hatten, begaben sie sich nach Hause; und mit dem Scharfsinn, den die Provinzler in so hohem Grade besitzen, beleuchteten sie das große Ereignis dieses Abends, dies Ereignis, das die Stellung sowohl der Cruchotaner wie der Grassinisten zu erschüttern drohte. Die großartige Schlauheit, die alle Handlungen dieser klugen Köpfe leitete, ließ hier wie da die Notwendigkeit einer augenblicklichen Verbindung gegen den gemeinsamen Feind als geboten erscheinen. Mußte man nicht einmütig verhindern, daß Eugénie sich in ihren Cousin verliebte, den Cousin verhindern, an seiner Cousine Gefallen zu finden? Konnte der Pariser all diesen widerlichen Einflüsterungen, den niederträchtigen Verleumdungen, der schmeichlerischen Hinterlist widerstehen – diesem ganzen, den Anschein der Aufrichtigkeit tragenden Lügengewebe, mit dem man ihn umstrickte, um ihn zu täuschen?
Als die vier Glieder der Familie Grandet sich im Saal allein sahen, sagte Grandet zu seinem Neffen: »Es ist Schlafenszeit und nun zu spät, um noch von dem zu reden, was Sie hierher geführt hat; wir wollen morgen darauf zurückkommen. Wir frühstücken um acht Uhr, um zwölf essen wir etwas Brot und Obst und trinken ein Gläschen Weißwein, um fünf essen wir Mittag – ganz wie ihr Pariser. Das ist also die Tagesordnung: Sie haben Zeit und volle Freiheit, sich die Stadt und die Umgegend zu betrachten, nur müssen sie entschuldigen, wenn meine Geschäfte mir nicht immer gestatten, Sie zu begleiten. Sie werden hier vielleicht von mancher Seite hören, daß ich reich sei. Monsieur Grandet hier, Monsieur Grandet da! Ich lasse sie reden, die Leute; ihr Geschwätz schadet nicht meinem Kredit. Aber ich habe keinen Sou, und ich arbeite in meinem Alter noch wie ein junger Bursche, der als einziges Gut ein schlechtes Planiermesser und zwei tüchtige Arme hat. Sie werden vielleicht bald selbst ermessen können, welchen Wert ein Taler hat, wenn man ihn im Schweiß erwerben muß. – Marsch, Nanon, die Lichter!«
»Ich hoffe, lieber Neffe, daß Ihnen nichts mangeln wird in Ihrem Zimmer«, sagte Madame Grandet. »Sollten Sie aber irgend etwas vermissen, so rufen
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