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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Sie Nanon.«
    »O liebe Tante, das dürfte überflüssig sein; ich glaube, ich habe alles, was ich brauche, mitgebracht. Gestatten Sie mir, Ihnen sowie meiner lieben Cousine eine gute Nacht zu wünschen.«
    Und Charles empfing aus den Händen Nanons eine Wachskerze; eine Kerze, die im Laden gealtert und gelb und runzlig geworden war, so daß sie ganz einem Talglicht glich. Dies hatte den Vorzug, daß Grandet, der das Vorhandensein einer Wachskerze im Hause nicht argwöhnte, diese Pracht gar nicht bemerkte.
    »Ich werde Sie führen«, sagte der Biedermann.
    Anstatt durch die große Saaltür in den Hausflur hinauszutreten, schritt Grandet durch den kleinen Gang, der den Saal mit der Küche verband. Eine selbstschließende Tür mit einer grünen ovalen Glasscheibe schloß diesen Gang nach der Treppe hin ab und diente dazu, den Wohnräumen die kalte Außenluft fernzuhalten. Im Winter aber half sie nichts gegen die eisige Zugluft, und obgleich die Saaltüren mit Filz ausgefüttert waren, so herrschte in dem weiten Raum nur selten eine behagliche Wärme.
    Nanon verriegelte das Haustor, schloß die Saaltüren und begab sich in den Stall, um den Wolfshund von der Kette zu lassen, der so heiser bellte, als habe er eine Kehlkopfentzündung. Das überaus wilde Tier hatte sich nur an Nanon angeschlossen. Die beiden Kinder der freien Natur verstanden einander.
    Als Charles die altersgelben verrußten Mauern des Treppenhauses gewahrte und die morsche Treppe mit dem wurmstichigen Geländer, die unter den gewichtigen Schritten des Onkels erbebte, fühlte er sich sehr ernüchtert. War er hier nicht in einem Hühnerstall? Er blickte Tante und Cousine fragend an, aber sie waren an diese Treppe so gewöhnt, daß sie sein Erstaunen nicht bemerkten; sie erwiderten seinen Blick mit einem freundlichen Lächeln, das ihn ganz entmutigte.
    Was zum Teufel soll ich eigentlich hier? Was hat sich mein Vater nur gedacht?« fragte er sich.
    Im ersten Stockwerk angekommen, fielen ihm drei rot gestrichene Türen auf, die ohne jeden Holzrahmen direkt in der bröckeligen Mauer saßen. Sie waren mit benagelten Eisenbändern verziert, die wie Flammen über das Holz züngelten; auch die Schlösser der Türen waren von solchen Flammenzungen umrahmt. Die erste Tür oben an der Treppe, die in das über der Küche gelegene Zimmer führte, war augenscheinlich zugemauert. Tatsächlich war der dahinterliegende Raum nur von Grandets Schlafzimmer aus zu betreten. Es war sein Arbeitszimmer. Das einzige Fenster dieses Raumes führte auf den Hof und war mit mächtigen Eisenstäben vergittert. Niemand, Madame Grandet nicht ausgenommen, durfte hier eintreten; der Biedermann wollte hier allein sein, wie der Alchimist in seiner Schmelzküche. Sicherlich gab es in diesem Zimmer allerlei Geheimverstecke. Hier war es, wo die Besitztitel aufbewahrt wurden, hier hingen die Waagen zur Gewichtsprüfung der Louisdors, hier wurden nachts Quittungen und Empfangsscheine ausgeschrieben, Kalkulationen aufgestellt. Das geschah des Nachts und so geheim, daß die Händler, die Grandet stets vorbereitet fanden, sich einbilden konnten, er stehe mit einer Fee, einem Dämon in Verbindung. Hierher schlich sich wohl der alte Böttcher, wenn Nanon schnarchte, daß die Wände zitterten, wenn der Wolfshund drunten im Hofe wachte und bellte, und wenn seine Frau und Eugenie fest schliefen; hierher schlich er sich, um sein Geld zu streicheln, zu liebkosen, aufzustapeln und klingen zu lassen. Die Mauern waren massiv, die Fensterladen diskret. Er allein hatte den Schlüssel zu diesem Laboratorium, wo er, wie man sich erzählte, über Geländekarten brütete, in die alle seine Obstbäume eingezeichnet waren, deren Erträgnisse er bis auf den Ableger, bis auf das Reisigbündel genau vorherberechnete.
    Der Eingang zum Zimmer Eugenies lag der vermauerten Tür gegenüber. Ferner befanden sich auf diesem Flur die gemeinsamen Zimmer der Eheleute, die die ganze Front des Hauses einnahmen. Madame Grandet hatte ihr eigenes Zimmerchen neben demjenigen ihrer Tochter; diese beiden Räume waren durch eine Glastür miteinander verbunden. Das Zimmer des Hausherrn war von dem Gemach seiner Frau durch eine leichte Wand und vom Geheimkabinett durch eine dicke Mauer geschieden. Seinen Neffen hatte Vater Grandet im zweiten Stock einquartiert, in der hohen Mansarde, die gerade über seinem eigenen Zimmer lag, so daß er des jungen Mannes Kommen und Gehen kontrollieren konnte.
    Als Eugénie und ihre Mutter im ersten Stock

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