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Eugénie Grandet (German Edition)

Eugénie Grandet (German Edition)

Titel: Eugénie Grandet (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Trauer. Er markierte nicht den Leidenden, er litt tatsächlich, und der sanfte Schleier des Kummers, den der Schmerz über sein Antlitz gebreitet hatte, gab ihm das interessante Aussehen, das den Frauen so gefällt. Eugénie liebte ihn darum noch mehr. Vielleicht auch hatte das Unglück ihn ihr nähergebracht. Charles war ihr nun nicht mehr der reiche und schöne junge Mann, der in einer ihr unzugänglichen Sphäre lebte, sondern ein Verwandter, über den ein entsetzliches Elend hereingebrochen war. Elend schafft Gleichheit. Die Frauen haben eins mit den Engeln gemein: die Leidenden gehören ihnen! Charles und Eugénie verstanden einander mit den Augen und redeten zueinander mit den Augen. Da es aus war mit seinem Dandytum, setzte sich der arme Verwaiste in einen Winkel und verhielt sich schweigend und zurückhaltend. Aber Minute um Minute leuchtete der sanfte, liebkosende Blick seiner Cousine zu ihm hinüber und bat ihn, von seinen traurigen Gedanken abzulassen, sich mit ihr in der weiten Flur der Hoffnung und der Zukunft zu ergehen.
    Zur selben Zeit war die Stadt Saumur in gewaltiger Aufregung über das Diner, das Grandet den Cruchots geben wollte – in noch gewaltigerer Aufregung, als sie gestern gewesen war, als er seine Ernte verkauft hatte, trotzdem das ein schweres Verbrechen an seinen Berufsgenossen gewesen war. Hätte der politische Weinbauer sein Diner aus denselben Gründen veranstaltet, die seinerzeit dem Hunde des Alkibiades den Schwanz kosteten – er wäre vielleicht ein großer Mann gewesen. Aber er fühlte sich der Stadt, über die er sich fortwährend lustig machte, viel zu überlegen – er rechnete nicht mit ihr.
    Die des Grassins erfuhren bald den plötzlichen Tod und vermutlichen Bankrott von Charles' Vater. Sie beschlossen, gegen Abend ihren geschätzten Kunden aufzusuchen, um ihm ihre Teilnahme und Freundschaft zu beweisen und nebenbei die Gründe zu erforschen, die ihn veranlaßt haben konnten, anläßlich dieses Ereignisses die Cruchots zum Diner einzuladen.
    Pünktlich um fünf Uhr erschienen der Präsident de Bonfons und sein Onkel, der Notar – bis an die Zähne sonntäglich gekleidet. Die Gesellschaft setzte sich zu Tisch und begann damit, gehörig zuzulangen. Grandet war ernst, Charles schweigsam, Eugénie stumm, und Madame Grandet sprach nicht mehr wie immer; so wurde dieses Diner tatsächlich ein Kondolenzmahl. Als man sich erhob, sagte Charles zu Onkel und Tante: »Erlauben Sie, daß ich mich zurückziehe! Ich habe eine große und traurige Korrespondenz zu erledigen.«
    »Nur zu, Neffe!«
    Als er gegangen war und der Biedermann annehmen durfte, daß er außer Hörweite und in sein Schreiben vertieft sei, warf er seiner Frau einen bösen Blick zu: »Madame Grandet, was wir zu reden haben, ist Latein für Sie; es ist halb acht, ihr könntet verschwinden. – Gute Nacht, meine Tochter.«
    Er küßte Eugénie, und die beiden Frauen verließen das Zimmer. Nun begann die Szene, in der Vater Grandet mehr als in irgendeinem andern Augenblick seines Lebens sich die Geschicklichkeit zunutze machte, die er sich im Handelsverkehr erworben hatte und die ihm oft von Seiten der Leute, denen er gar zu sehr das Fell zauste, den Beinamen ›Alter Hund‹ einbrachte. Wenn der Bürgermeister von Saumur seinerzeit seinen Ehrgeiz höher geschraubt hätte, wenn glückliche Umstände ihn in die höchste Sphäre der Gesellschaft hätten aufsteigen lassen und ihn in die Kongresse geschickt hätten, wo über die Geschicke der Nation entschieden wird, und wenn er sich dort so genial gezeigt hätte wie bei Verfolg seiner persönlichen Interessen – kein Zweifel, er wäre Frankreich sehr nützlich geworden. Immerhin, es wäre ebensogut möglich, daß der Biedermann außerhalb der Grenzen von Saumur nur eine traurige Figur abgegeben hätte! Vielleicht gibt es Wesen, mit denen es geht wie mit gewissen Tieren, die in einem andern Klima als dem ihres Heimatlandes nicht gedeihen.
    »Mon..on..on..on..sieur le Pré..Pré..Pré..Président, Sssie sa..sa..sagten so..so..soeben, daß der B..B..Bankrott...«
    Das seit so langer Zeit von dem Alten vorgetäuschte Stottern, das man ebenso wie die gelegentliche Taubheit, über die er bei Regenwetter klagte, für einen Naturfehler hielt, wurde im Laufe dieser Unterredung so ermüdend für die beiden Cruchots, daß sie die gräßlichsten Grimassen schnitten und sich angestrengt bemühten, die Worte auszusprechen, die er so mühsam im Munde herumwälzte. Hier ist es wohl

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