Eugénie Grandet (German Edition)
angebracht, die Geschichte von Grandets Stotterfehler und Taubheit zu berichten. Keiner in ganz Anjou hörte besser und konnte das anjousche Französisch klarer aussprechen als der schlaue Weinbauer. Doch da geschah es, daß er trotz seiner Schlauheit von einem Juden überlistet wurde. Dieser hatte während der Unterredung die Hand ans Ohr gehalten, wie um besser zu hören, und stotterte so prächtig, daß Grandet sich aus Menschlichkeit verpflichtet glaubte, diesem verflixten Juden die Worte und Ideen zu suggerieren, die der Jude zu suchen schien; selber die Schlußfolgerungen zu ziehen, die besagter Jude hätte ziehen müssen; zu reden, wie der verdammte Jude hätte reden sollen; kurz, der Jude zu sein und nicht Grandet. Aus diesem merkwürdigen Kampf ging Grandet mit dem einzigen Handelsabschluß hervor, über den er sich während seiner ganzen Geschäftstätigkeit zu beklagen hatte. Aber wenn er auch pekuniär verloren hatte, so hatte er eine vorzügliche Lehre gewonnen, die ihm später reiche Früchte einbrachte. Und schließlich segnete der Biedermann den Juden, der ihn die Kunst gelehrt hatte, den geschäftlichen Gegner ungeduldig zu machen, ihn zu zwingen, die Ideen des andern auszusprechen und dadurch die eigenen aus dem Gesicht zu verlieren. Seitdem unternahm er kein Geschäft, ohne daß er die Taubheit und das Stottern zu weitschweifigen Umwegen benutzte, die seine wahren Gedanken verbergen mußten. Zunächst wollte er die Verantwortlichkeit für seine Absichten nicht ganz allein tragen; dann wollte er auch sein eigener Herr bleiben und seine wahren Absichten im unklaren lassen.
»Monsieur de Bon..Bon..Bonfons...«
Zum zweitenmal seit drei Jahren nannte Grandet Cruchot den Neffen Monsieur de Bonfons. Der Präsident vermeinte sich schon zum Schwiegersohn ausersehen.
»Sssie sa..sa..sagten also, daß d..der B..B..Bankrott in ge..ge..gewissen Fällen aufgehalten w..w...werden kann d..d..durch...«
»Durch die Handelsgerichte selber. Das kommt alle Tage vor«, sagte Monsieur Cruchot de Bonfons, den Gedanken des Vaters Grandet aufgreifend, und bemühte sich liebenswürdig, ihm Aufklärung zu geben. »Hören Sie zu!«
»I..i..ich höre«, antwortete der Biedermann bescheiden. Er setzte die Miene eines boshaften Kindes auf, das innerlich den Lehrer auslacht, sich aber den Anschein gibt, sehr aufmerksam zu sein.
»Wenn ein bedeutender und geachteter Mann, wie zum Beispiel Ihr verstorbener Bruder in Paris...«
»Mein Bruder, ja.«
»Von einer Zahlungsunfähigkeit bedroht wird...«
»D..d..d..das nennt m..man Z..Z..Zahlungsunfähigkeit?«
»Ja. So daß der Bankrott unvermeidlich ist, so hat das Handelsgericht, dem er unterworfen ist – passen Sie auf –, die Befugnis, durch einen Richterspruch für das Handelshaus Liquidatoren einzusetzen. Liquidieren ist nicht Bankrott machen, verstehen Sie? Wenn er Bankrott macht, ist ein Mann entehrt; aber wenn er liquidiert, bleibt er ehrenhaft.«
»D..d..das ist all..l..l..lerdings etwas anderes, w..w..w..wenn's nicht z..zuviel k..k..kostet«, sagte Grandet.
»Aber eine Liquidation kann auch ohne die Unterstützung des Handelsgerichts vor sich gehen, denn« – und der Präsident nahm eine kräftige Prise – »wie wird eigentlich ein Bankrott erklärt?«
»Ja, i.. i.. ich ha.. ha.. habe n.. n.. nie d.. darüber nachgedacht«, erwiderte Grandet.
»Zunächst«, fuhr der Beamte fort, »durch Überweisung der Bilanz an die Gerichtskanzlei, was der Kaufmann selbst oder sein gesetzlicher Bevollmächtigter tut. Zweitens auf Verlangen der Gläubiger. Nun aber, wenn weder der Kaufmann die Bilanz vorlegt, noch irgendein Gläubiger beim Gericht den Urteilsspruch nachsucht, der den Kaufmann bankrott erklärt, was geschieht dann?«
»Ja, w.. w.. was d.. d.. dann?«
»Dann wird von der Familie des Verstorbenen, von seinen Vertretern, seinen Erben oder von dem Kaufmann selbst, wenn er am Leben ist, oder von seinen Freunden, wenn er sich verborgen hält, liquidiert. Vielleicht haben Sie die Absicht, für Ihren Bruder zu liquidieren?« fragte der Präsident. »Ah, Grandet!« rief der Notar, »das wäre ausgezeichnet! Ja, bei uns in der Provinz ist noch die Ehrenhaftigkeit zu Hause. Wenn Sie Ihren Namen retteten — denn es ist ja Ihr Name —, so wären Sie ein Mann, der ...«
»Großartig!« unterbrach der Präsident seinen Onkel.
»G.. g.. gewiß«, entgegnete der alte Weinbauer »m.. m.. mein Bruder h.. hieß Grrr.. Grandet, g.. g.. ganz wie ich. Ja, g.. g.. gewiß. D..
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