Eugénie Grandet (German Edition)
Feuer. »Geduld, meine lieben Freunde, nur Geduld.«
Als Erwiderung auf das in diesem Brief gestellte Ansinnen verlangte Grandet die notarielle Deponierung aller noch gegen seinen Bruder bestehenden Schuldforderungen, denen eine Quittung über die bereits gemachten Zahlungen beizufügen sei; er begründete dies Verlangen damit, daß er die Rechnungen ins reine bringen und die Höhe der Hinterlassenschaft genau feststellen wolle. Diese Deponierung machte viel böses Blut. Ein Gläubiger ist fast immer so etwas wie ein Besessener. Heute noch bereit zuzustimmen, will er morgen auf einmal alles in Brand stecken; dann wieder zeigt er sich übertrieben nachgiebig. Heute ist seine Frau guter Laune, sein Jüngster hat ein neues Zähnchen bekommen, alles geht gut zu Hause, und er will nicht einen Sou nachgeben; morgen regnet es, er kann nicht ausgehen, er ist melancholisch, und er sagt ›ja‹ zu allen Vorschlägen, die der Sache ein Ende machen; übermorgen verlangt er Garantien; am Ende des Monats droht er mit Pfändung, der Schurke. Der Gläubiger ähnelt einem Sperling, dem die Kinder Salz auf den Schwanz streuen sollen. In bezug auf seine Forderung kehrte der Gläubiger dieses Bild um, denn er bekommt von seiner Forderung nichts in die Hände. Grandet hatte den Witterungswechsel in der Stimmung der Gläubiger schon lange zu seinem Studium gemacht, und die Gläubiger seines Bruders entsprachen vollkommen seinen Erwartungen. Die einen erzürnten sich und schlugen die verlangte Deponierung rundweg ab.
»Schön, das geht ja ausgezeichnet«, sagte Grandet händereibend bei der Lektüre der Briefe, die des Grassins ihm in dieser Sache schrieb.
Andere Gläubiger erklärten sich nur unter der Bedingung einverstanden, daß ihre Ansprüche ganz genau festgestellt würden, daß sie auf keinen derselben zu verzichten brauchten und sogar das Recht behielten, doch noch den Konkurs anzusagen. Es gab von neuem umständliche Korrespondenzen, und schließlich bewilligte Grandet in Saumur alle gewünschten Vorbehalte. Infolge dieses Zugeständnisses bemühten sich die gutmütigen Gläubiger, den Starrköpfigen Vernunft zu predigen. Die Deponierung fand also statt, aber nicht ohne viel Gejammer.
»Dieser Biedermann«, sagte man zu des Grassins, »macht sich über Sie und über uns alle lustig.«
Als über den Tod Guillaume Grandets nahezu zwei Jahre hingegangen waren, hatten die meisten Kaufleute, von ihren Pariser Geschäften in Anspruch genommen, ihre noch bestehende Forderung an das Haus Grandet vergessen; man dachte nur noch daran, um sich zu sagen: ›Ich fange an zu glauben, die siebenundvierzig Prozent sind alles, was bei der Sache herauskommt.‹
Der Böttcher hatte auf die Macht der Zeit gerechnet, die wie er sagte – so ein guter Teufel ist.
Am Ende des dritten Jahres schrieb des Grassins an Grandet, daß er die Gläubiger dazu gebracht habe, ihm gegen zehn Prozent der Schuld von zwei Millionen vierhunderttausend Francs des Hauses Grandet die Schuldtitel auszuliefern. Grandet erwiderte, daß der Notar und der Bankier, diese Bösewichter, deren schrecklicher Bankrott seinem Bruder das Leben gekostet habe, noch lebten, daß sie sich vielleicht finanziell erholt hätten und daß man sie gerichtlich belangen müsse, um womöglich etwas aus ihnen herauszuholen und das Defizit zu vermindern.
Gegen Ende des vierten Jahres war das Defizit nach Recht und Gebühr auf eine Million zweihunderttausend Francs heruntergebracht. Es fanden darüber zwischen den Gläubigern und Liquidatoren Besprechungen statt, und ebenso zwischen Grandet und den Liquidatoren; diese Verhandlungen währten über sechs Monate. Im neunten Monat dieses Jahres erwiderte Grandet den beiden Liquidatoren, die ihn zu einer Entscheidung drängten, daß sein Neffe in Indien sein Glück gemacht und ihm seine Absicht kundgetan habe, die Schulden seines Vaters bis auf den letzten Centime zu bezahlen; er könne es also nicht auf sich nehmen, dieselben, wie beabsichtigt, nur zum Teil zu begleichen, ohne den jungen Mann befragt zu haben; er erwarte zunächst dessen Antwort.
Gegen Mitte des fünften Jahres wurden die Gläubiger noch immer durch das Schlagwort ›bis auf den Centime‹ in Schach gehalten, das der überlegene Böttchermeister ihnen von Zeit zu Zeit hinwarf; er lachte sich ins Fäustchen und ließ dem Wort ›diese Pariser‹ stets ein bedeutungsvolles Lächeln und eine Verwünschung folgen. Die Gläubiger aber wurden für ein Schicksal aufgespart, wie es in
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