Eugénie Grandet (German Edition)
der Handelsgeschichte noch nicht vorgekommen war. Als die Ereignisse dieser Geschichte sie zwangen, tätig einzugreifen, befanden sie sich noch immer in der von Grandet ihnen zugewiesenen Lage.
Als die Rentenpapiere auf einhundertfünfzehn gestiegen waren, verkaufte Vater Grandet. Er zog aus Paris gegen zwei Millionen vierhunderttausend Francs in Gold, die er in seine Fäßchen zu den sechshunderttausend Francs Zinseszinsen tat, die seine Staatsschuldscheine ihm gebracht hatten.
Des Grassins blieb in Paris aus folgenden Gründen: Zunächst war er zum Deputierten ernannt worden; ferner verliebte er sich – er, der Familienvater, den das Leben in Saumur freilich längst gelangweilt hatte – in Florine, eine der hübschesten Schauspielerinnen vom Théâtre de Madame; bei dem Bankier brach der ehemalige Quartiermeister wieder durch. Es ist überflüssig, von seinem Betragen zu reden; es wurde in Saumur als äußerst unmoralisch angesehen. Seine Frau war froh, daß sie mit ihm keine Gütergemeinschaft hatte und Erfahrung genug besaß, um das Haus in Saumur selbständig zu leiten. Die Geschäfte wurden nun unter ihrem Namen weitergeführt, um die Lücke, welche die Tollheiten des Grassins' ihrem Vermögen geschlagen hatten, wieder auszufüllen. Die Cruchotaner wußten die schlimme Lage der armen Frau, die gleichsam Witwe war, so gut auszunutzen, daß sie ihre Tochter recht schlecht verheiratete und für ihren Sohn auf die Verbindung mit Eugénie Grandet verzichten mußte. Adolphe ging zu seinem Vater nach Paris und wurde dort, wie man sagt, ein recht schlimmer Bursche. Die Cruchots triumphierten.
»Ihr Gatte ist nicht bei Sinnen«, sagte Grandet, als er Madame des Grassins, gegen Sicherheit natürlich, eine gewisse Summe borgte. »Ich bedauere Sie aufrichtig, Sie sind eine gute kleine Frau.«
»Ach Monsieur«, erwiderte die arme Frau, »wer hätte denken können, daß er damals, als er von Ihnen Abschied nahm, um nach Paris zu gehen, geradenwegs in sein Unglück rannte?«
»Der Himmel ist mein Zeuge, Madame, daß ich bis zuletzt alles getan habe, um ihn von dieser Reise abzuhalten. Monsieur le Président wollte ihm diese Sache durchaus abnehmen; aber er bestand darauf, selbst hinzureisen, und wir wissen ja nun weshalb.« So empfand also Grandet nicht die geringste Dankbarkeit für die des Grassins.
In allen Lebenslagen hat die Frau mehr Schmerz und Kummer als der Mann und leidet mehr als er. Der Mann hat seine Kraft und kann seine Macht bestätigen, er handelt, er kommt und geht, beschäftigt sich, denkt, er umarmt die Zukunft und findet darin Trost. So machte es Charles. Die Frau aber bleibt zurück, steht dem Kummer von Angesicht zu Angesicht gegenüber, nichts zerstreut sie; sie steigt bis in die Tiefen des Abgrunds hinab, der sich vor ihr aufgetan hat, der unermeßlich ist, wie ihre Gelübde und ihre Tränen. So machte es Eugénie. Sie überließ sich ihrem Schicksal. Fühlen, lieben, leiden, sich aufopfern – das wird immer das Leben der Frauen ausmachen. Eugénie sollte ganz und gar Frau werden; für sie gab es nur Leid und keine Tröstungen. Ihr Glück war, um Bossuets herrlichen Ausspruch anzuwenden, zusammengehäuft wie die spitzen Nägel auf dem Mauerrand, und wurde doch niemals so viel, um ihr auch nur die hohle Hand zu füllen. Der Kummer läßt nie auf sich warten, und für sie kam er gar bald.
Am Tage nach Charles' Abreise nahm das Haus Grandet für alle sein altes Gesicht wieder an, ausgenommen für Eugénie, die es plötzlich öde und leer fand. Ohne daß ihr Vater darum wußte, verlangte sie, Charles' Zimmer solle genau in dem Zustand bleiben, wie er es verlassen hatte. Madame Grandet und Nanon machten sich dabei willig zu Mitschuldigen. »Wer weiß, ob er nicht viel früher zurückkommt, als wir glauben?« sagte sie.
»Ja, ich würde ihn gern wieder hier sehen«, erwiderte Nanon. »Ich hatte mich schon an ihn gewöhnt! Das war ein recht sanfter, recht guter junger Mann, sozusagen hübsch und gutmütig wie ein Mädchen.«
Eugénie sah Nanon an.
»Heilige Jungfrau, Mademoiselle, Sie machen ein Paar Augen, als hätten Sie Ihre Seele hingegeben! Sie dürfen die Leute nicht so ansehen!«
Seit diesem Tage wurde die Schönheit von Mademoiselle Grandet von neuer, tieferer Art. Die traurigen Liebesgedanken, die nach und nach ihre Seele einspannen, die Würde der Frau, die sich geliebt weiß, gaben ihren Zügen jenes Strahlen, das die Maler durch einen Heiligenschein versinnbildlichen. Vor der Ankunft
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