Eugénie Grandet (German Edition)
Zinsen für das letzte Halbjahr zugesandt und ihm eine Hausse der Staatspapiere in Aussicht gestellt. Diese standen damals auf neunundachtzig; die bedeutendsten Kapitalisten kauften sie Ende Januar zu zweiundneunzig Prozent. Grandet gewann seit zwei Monaten mit seinem Kapital zwölf Prozent; er hatte seine Rechnungen ins reine gebracht und konnte von jetzt ab alle sechs Monate fünfzigtausend Francs einstreichen, ohne dafür irgendwelche Abgaben zahlen zu müssen. Er faßte für Staatsrenten – eine Kapitalsanlage, gegen die die Provinzler meist eine unwiderstehliche Abneigung bekunden – eine große Zuneigung und sah sich nach kaum fünf Jahren als Besitzer eines Vermögens von sechs Millionen, das ohne große Mühen angewachsen war und das in Verbindung mit dem Grundwert seiner Liegenschaften ein ungeheures Kapital darstellte.
Die sechs Francs, die er Nanon gegeben hatte, waren vielleicht der Lohn für einen ungeheuren Dienst, den die Magd ihrem Herrn unbewußt geleistet hatte.
›Oh, oh! wo geht Vater Grandet denn hin, daß er schon am frühen Morgen daherrennt, als brenne es?‹ fragten sich die Kaufleute, die ihre Läden öffneten.
Später, als sie ihn vom Hafen zurückkommen sahen, gefolgt von einem Gepäckträger, der auf einem Schubkarren volle Säcke transportierte, sagte einer der Nachbarn: ›Das Wasser rinnt immer zum Fluß, der Biedermann ist nach seinen Talern gelaufen.‹ ›Die erhält er aus Paris, aus Froidfond, aus Holland‹, sagte ein anderer. ›Er wird schließlich noch ganz Saumur in die Tasche stecken‹, rief ein dritter. ›Die Kälte macht ihm gar nichts, seine Geschäfte halten ihn immer warm‹, sagte eine Frau zu ihrem Mann.
»He, he! Monsieur Grandet, wenn Ihnen diese Last zuviel ist, ich will sie Ihnen gern abnehmen«, scherzte ein Tuchhändler, sein nächster Nachbar.
»Nichts als Sousstücke«, erwiderte der Winzer.
»Silber«, sagte der Packträger mit leiser Stimme.
»Du, ich rate dir, halt dein Maul«, sagte der Biedermann zum Packträger und öffnete das Haustor.
›Ha, der alte Fuchs, ich glaubte, er sei taub‹, dachte der Mann; ›es scheint aber, daß er bei Frostwetter gut hören kann.‹
»Hier hast du zwanzig Sous als Neujahrsgabe – aber Maul halten, du! Und nun mach, daß du fortkommst!« sagte Grandet zu ihm. »Nanon wird dir den Karren zurückbringen.«
»Nanon, sind die Vöglein in der Messe?«
»Ja, Monsieur.«
»Vorwärts, Hände her! An die Arbeit!« schrie er und belud sie mit den Säcken.
In einer Minute waren die Taler in seinem Zimmer verschwunden. Dort schloß er sich mit ihnen ein.
»Wenn das Frühstück fertig ist, so klopfe an die Wand«, sagte er zu Nanon. »Bring den Karren zurück zur Posthalterei.«
Die Familie frühstückte nicht vor zehn Uhr.
»Hier unten wird dein Vater wohl nicht dein Gold zu sehen verlangen«, sagte Madame Grandet zu ihrer Tochter, als sie von der Messe heimkamen. »Im übrigen mußt du recht frostig tun und dich nicht gern vom Feuer rühren. Später haben wir Zeit genug, den Schatz wieder zusammenzubekommen bis zu deinem Geburtstag....«
Als Grandet zum Frühstück hinunterging, war er ganz in Gedanken an seine Pariser Taler; er beabsichtigte, sie in gutes Gold umzutauschen. Dann fiel ihm der Erfolg seiner großartigen Spekulation mit Staatsrenten ein. Er war entschlossen, alle seine Einnahmen darin anzulegen, bis die Papiere auf hundert standen. Dieser Gedanke sollte für Eugénie unheilvoll werden.
Sowie er ins Zimmer trat, brachten die beiden Frauen ihm ihre Glückwünsche dar. Seine Tochter fiel ihm um den Hals und schmeichelte ihm; Madame Grandet beglückwünschte ihn ernst und würdevoll.
»Sieh, sieh, mein Kind«, sagte er, die Tochter auf die Wangen küssend, »für dich arbeite ich, siehst du!... Für dein Glück! Man braucht Geld, um glücklich zu sein. Ohne Geld ist das ganze Leben verfehlt. Hier, sieh! da hast du einen neuen Napoleondor, ich habe ihn aus Paris kommen lassen. Zum Teufel auch, hier gibt es ja nicht ein Körnchen Gold! Außer dir gibt es hier keine Seele, die ein Goldstück besäße. Zeig mir dein Gold, Töchterchen!«
»Ach, es ist zu kalt; komm frühstücken«, antwortete Eugenie.
»Na, dann also später. Das wird uns verdauen helfen. Der alte des Grassins hat uns hier das Pastetchen geschickt«, fuhr er fort. »Also eßt, meine Kinder, das kostet uns ja nichts. Er macht sich ganz tüchtig, dieser des Grassins, ich bin mit ihm zufrieden. Er leistet Charles einen großen Dienst
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