Eugénie Grandet (German Edition)
eine frische Farbe«, sagte der Tuchhändler. »Sie ist fähig und kriegt noch Kinder«, sagte der Gewürzkrämer; »sie hat sich konserviert, als hätte sie – mit Respekt zu vermelden in Lauge gelegen.« – »Sie ist reich, und der Bursche Cornoiller macht einen guten Fang«, sagte ein anderer Nachbar.
Als Nanon aus dem alten Hause trat, sah sie, die von der ganzen Nachbarschaft geliebt wurde, nur freundliche Gesichter und erhielt Glückwunsch um Glückwunsch, als sie die gewundene Straße zur Pfarrkirche hinunterschritt. Als Hochzeitsgeschenk gab Eugénie ihr drei Dutzend Gedecke. Cornoiller, den solche Pracht überwältigte, sprach von seiner Herrin mit Tränen in den Augen: er würde sich für sie in Stücke hacken lassen. Madame Cornoiller, die ganz Eugénies Vertraute geworden war, genoß auch in dieser Hinsicht eine Glückseligkeit, die der andern, einen Gatten zu haben, nicht nachstand. Endlich durfte sie selbst die Speisekammer öffnen und schließen und des Morgens die Tagesvorräte austeilen, wie es ihr seliger Herr getan hatte. Ferner herrschte sie über zwei Dienstboten, denn man hatte eine Köchin ins Haus genommen und eine Kammerfrau, die die Hauswäsche auszubessern und die Kleider von Mademoiselle Grandet anzufertigen hatte. Cornoiller vereinigte in sich das Amt eines Wächters und Verwalters. Es erübrigt sich zu sagen, daß die von Nanon aufgenommenen beiden Dienstboten wahre ›Perlen‹ waren. Mademoiselle Grandet hatte also vier Dienstboten, deren Ergebenheit grenzenlos war. Die Pächter spürten nicht den Tod Grandets, so streng hatte dieser seine Geschäftsgrundsätze, sein Arbeitssystem festzulegen gewußt, und Monsieur und Madame Cornoiller führten alles in seinem Sinne weiter.
Mit dreißig Jahren kannte Eugénie noch nicht eine der Glückseligkeiten des Lebens. Ihre bleiche, traurige Jugend hatte sich im Schatten einer Mutter abgespielt, deren verkanntes, zertretenes Herz nur von Leid wußte. Diese Mutter schied mit Freuden aus dem Leben und beklagte nur die Tochter, weil sie noch leben müsse, und pflanzte in ihre Seele viel Reue und ewiges Wehklagen.
Eugénies erste, einzige Liebe war für sie Trauer und Schwermut geworden. Als sie ihren Geliebten kaum flüchtig kannte, hatte sie ihm zwischen zwei heimlichen Küssen ihr Herz geschenkt. Dann war er abgereist und hatte eine ganze Welt trennend zwischen sie gelegt. Diese Liebe, die ihr Vater verwünscht und die ihrer Mutter und ihr fast das Leben gekostet hatte, brachte ihr nur tiefe Schmerzen, vermischt mit spärlichen Hoffnungsstrahlen. So hatte sie also bislang dem Glück entgegengestrebt und ihre Kräfte aufgezehrt für nichts und immer wieder nichts.
Auch im geistigen Leben gibt es wie im körperlichen ein Ein- und Ausatmen. Die Seele hat das Bedürfnis, die Empfindungen einer andern Seele in sich aufzunehmen, einzusaugen, für sich zu verarbeiten und – nun reicher geworden – zurückzuerstatten. Das Herz lebt nicht, solange es dies schöne Wunder noch nicht kennt, es fehlt ihm die Luft, es leidet und siecht dahin. Eugénie begann zu leiden. Für sie hatte das Geld weder Macht noch Tröstung; sie konnte nur in der Liebe leben, im Glauben, in der Hingabe an eine frohe Zukunft. Die Ewigkeit – das war für sie die Liebe. Ihr Herz und das Evangelium verhießen ihr zwei Welten. Tag und Nacht stürzte sie sich in das dunkle Wirrsal zweier unendlicher Gedanken, die wohl für sie in eins verschmolzen. Sie zog sich in sich selbst zurück, liebte und glaubte sich geliebt. Seit sieben Jahren hatte diese Leidenschaft an Macht gewonnen und alles andere erstickt. Eugénies Schätze! Das waren nicht die Millionen, deren Einkünfte sich immer mehr vergrößerten, das war das kleine Köfferchen, das Charles ihr anvertraut hatte; das waren die beiden Porträts, die über ihrem Bett hingen; das waren die ihrem Vater abgekauften Schmucksachen, die in ihrer Kommode sorgsam auf Watte ausgebreitet lagen; das war der Fingerhut ihrer Tante, den auch ihre Mutter benutzt hatte und den sie alle Tage fromm zur Hand nahm, um an einer Stickerei zu arbeiten, einer Penelopearbeit, die nur unternommen wurde, um dieses kostbare, erinnerungsreiche Gold am Finger zu haben.
Es schien nicht wahrscheinlich, daß Mademoiselle Grandet sich noch während der Trauerzeit verheiraten würde. Ihre aufrichtige Frömmigkeit war zu bekannt. So begnügte sich auch die Familie Cruchot, deren Vorgehen der alte Abbé stets weise leitete, die Erbin durch hingebende
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