Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
nervende Klette, da sie häufig die Nachmittage mit mir verbrachte und mein Bruder im italienischen Restaurant und dem Eiscafé, »Di Lorenzo«, ihrer Eltern jobbte. Für ihn war sie ein lästiges Anhängsel.
»Oh, cool! Wenn du möchtest, dann begleite ich dich und feuere unsere Mannschaft mit an«, fragte sie mich begeistert.
»Ja klar. Das ist eine gute Idee«, stimmte ich zu.
Nik spielte auch in der Mannschaft und deswegen war mir sofort klar, wo Adrianas Begeisterungsstürme herrührten.
Pascal guckte ziemlich reserviert.
In diesem Moment betrat Curly den Klassenraum und Adriana stürzte auf sie zu.
Ich schaute Pascal besänftigend an und zuckte leicht mit den Schultern. »Dann stehe ich da wenigstens nicht ganz so alleine rum. Ich gehe mal rüber zu Curly.«
»Ok, bis später. Ich habe jetzt Biologie.« Pascal küsste mich auf die Stirn und ging in zu seinem Kursraum.
Adriana und Curly saßen bereits auf ihren Plätzen und führtenein angeregtes Gespräch. Das hieß, eigentlich redete Adriana und Curly hörte zu.
Selbst in dieser Lage strahlte Curly Anmut und Eleganz aus. Sie war erst kürzlich neu als Schülerin an unsere Schule gekommen. Vom ersten Moment an hatte sie mich durch ihr Wesen und Auftreten fasziniert. Curly wirkte auf mich wie eine Lichtgestalt, vielleicht wie eine Elfe. Sie hatte den zierlichen Körper einer Balletttänzerin und auch deren anmutige und grazile Bewegungen. Ihr Teint war so hell, dass die Adern leicht bläulich schimmerten und sie sehr zerbrechlich erschien. In ihrem schmalen sommersprossigen Gesicht blitzten grüne Katzenaugen, welche wunderschön zu ihren langen kupferroten Locken passten, die sie meistens offen trug. Ihren Locken verdankte sie auch ihren Spitznamen, eigentlich hieß sie Mila. Sie mochte klassisch geschnittene Kleidung, ohne jegliche Modelabel oder Accessoires. Niemals orientierte sie sich an einem bestimmten Trend, sondern kleidete sich schlicht in sehr klaren Farben.
Adriana und Curly waren absolut gegensätzlich. Und als ich sie vor mir sitzen sah, wurde mir dieser Gegensatz mehr als bewusst.
Ich ging zu meinem Platz und ließ mich mit einem kleinen Seufzer neben Adriana nieder, ohne dass sie es während ihrer angeregten Unterhaltung bemerkte. Curly grinste mich spitzbübisch an, als wenn sie meine letzten Gedanken gelesen hätte. Ich erwiderte das Grinsen, verfiel aber sofort in eine innere Anspannung.
In den ersten beiden Stunden hatten wir Mathe bei Herrn Zadetzki, oder besser: Hauptmann Zadetzki. Ein war ein Lehrer vom alten Schlag, der sein Mathematikstudium bei der Bundeswehr absolviert und im Bundeswehrorchester Trompete gespielt hatte. Herr Zadetzki unterrichte grundsätzlich mit Lehrbüchern aus Bayern und verstand es den Schülern das Leben schwer zu machen. »In Bayern hat das Abitur noch einen Wert«, war sein Standardsatz. Zu Beginn der Oberstufe begrüßte er uns mit den Worten: »So Herrschaften. Und jetzt kann euch nur noch der Tod vor dem Abitur retten. Daher werde ich dafür sorgen, dass wenigstens in der Mathematik ein gewisses Niveau erhalten bleibt.« Seine abgetragenen Anzüge und mittlerweile gräulichen Hemdentrug er konsequent seit 15 bis 20 Jahren. Die Farben seiner Jacken und Hosen variierten zwischen steingrau, erdbraun und einem ausgeblichenen Beige. Über seine Halbglatze kämmte er sich seinen Haarflaum von links nach rechts. Er stand kurz vor der Pensionierung, und meine Matheklasse war der letzte Oberstufenkurs seiner Karriere. In der letzten Stunde hatte er einen Test schreiben lassen, bei dem ich mir sicher war, fast alle Aufgaben falsch gelöst zu haben. Daran dachte ich, und bei dem Gedanken an das Ergebnis nahm meine innere Anspannung zu.
»Mae?« Adriana schaute mich fragend an. Ich hatte nicht mitbekommen, dass sie mit mir sprach.
»Ähm, ja?«, erwiderte ich verwirrt.
»Das scheint wirklich nicht dein Tag zu sein. Du bist mit deinen Gedanken ganz woanders, was?«, stellte sie fest. »Ich hatte dich gefragt, ob du schon weißt, in welchem Kurs du deine Facharbeit schreiben möchtest?«
Adriana und Curly schauten mich erwartungsvoll an.
In Curlys Blick lag etwas Prüfendes, was mich noch mehr verwirrte.
»Oh.« Mehr fiel mir dazu nicht ein. Ich überlegte kurz und antwortete dann schnell: »Ich dachte … ich dachte vielleicht in Geschichte oder so.«
In diesem Moment öffnete sich die Tür und Herr Zadetzki trat ein. Die Gespräche erstarben. Er marschierte zum Pult, legte seine abgegriffene braune
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