Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
zurollte, aus der eine Hand ragte.
»Konrad! Ich komme! Hörst du? Ich bin gleich da!«
Jetzt tauchte er auf. Wasser klatschte ihm ins Gesicht und er ging erneut unter. Ich war nun ganz nah bei ihm. Wenn er ertrank, war es meine Schuld. Mit diesem Gedanken stieß ich mich vom Surfbrett ab und tauchte in das eisige Nordseewasser. Ich hielt die Luft an und riss die Augen weit auf, um in dem trüben Wasser etwas erkennen zu können. Mit kräftigen Schwimmzügen schwamm ich durch das Salzwasser, über mir das stete Brausen der Strömung. Ich zwang mich weiter zu tauchen, obschon ich merkte, keinen Sauerstoff mehr zu haben. Ich musste Konrad finden, ihn retten, dachte ich verzweifelt. Irgendwo musste er doch sein. Meine Lunge schmerzte und der Drang nach Sauerstoff war übermächtig. Ich richtete den Blick nach oben, um an die Wasseroberfläche zu schwimmen. In diesem Moment bewegtesich ich plötzlich schräg neben mir etwas, ich erkannte Konrads Gestalt. Ich nahm all meine Willenskraft zusammen und ignorierte mein Verlangen nach der überlebenswichtigen Luft. Unbeirrt durchpflügte mein Körper das Wasser, bis ich ihn umgriff und nach oben zur Wasseroberfläche zog. Als ich mit Konrad im Arm auftauchte, sah ich den wolkigen Himmel über mir und schnappte röchelnd nach Luft. Hinterrücks schlossen sich mir zwei Hände um meinen Hals. Ich wurde nach hinten gerissen und unter Wasser gedrückt, wobei ich Salzwasser verschluckte und der wertvolle Sauerstoff aus meiner Lunge entwich. Panisch wehrte mich gegen den Würgegriff, strampelte mit den Beinen und zerrte an den Händen, die immer noch meinen Hals festumschlossen hielten. Der Griff wurde nicht lockerer. Ich langte nach seinen Armen und zog ihn mit mir in die Tiefe. Es funktionierte. Die Hände um meinen Hals lösten sich. Ich befreite mich und schoss nach oben. Als ich die Wasseroberfläche erreichte, brannten meine Lungenflügel ich hustete.
»Nein! Elisaaabeeeth! Nein!«, scholl es über die Wellen, als meine Beine gepackt und ich abermals unter das Wasser gezogen wurde.
Wahrnehmungen
Sauerstoffblasen sprudelten empor, als ich tief hinab sank. Ich schlug und trat um mich, versuchte Konrads Hände von meinen Beinen abzuschütteln, aber er ließ nicht los. Wir sanken immer tiefer und der Druck auf meinen Ohren nahm zu. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, wie tief die Nordsee war. Meine Tritte wurden schwächer, je näher wir dem Meeresgrund kamen. Ich hatte keine Kraft mehr, um zu kämpfen, nicht genügend Sauerstoff, um noch länger durchzuhalten. Fast wollte ich mich meinem Schicksal ergeben, als kalte, feste Arme meinen Brustkorb von hinten umschlangen und mich nach oben zogen. Ich war einer Ohnmacht nahe, als mein Kopf auftauchte, und ich zu einem Surfbrett gezogen und auf dies gelegt wurde. Das Brett schaukelte auf den Wellen und ich spürte wieder diese kalte Berührung auf meiner Haut, Arme, die mich sicher festhielten und daran hinderten, durch einen Hustenanfall vom Surfboard zu kippen. Das Rauschen des Meeres wurde durch ein dumpfes Ohrensausen übertönt, ein Geräusch, das nur innerhalb meines Kopfes existierte. Die Außenwelt nahm ich wie in einer Trance wahr, meine Sinne schienen vernebelt zu sein, als mich erneut zwei kräftige Arme hochgehoben und flach auf den Boden legten. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich vor Kälte zitterte und meine Zähne unkontrolliert aufeinander schlugen.
»Hol die Decke aus dem Auto!«, schrie jemand neben mir. Ich beruhigte mich ein wenig, als ich die Stimme erkannte und klar zuordnen konnte. Sam. Er war da. Langsam drehte ich meinenin Kopf in die Richtung, aus der die Stimme kam. Sam kniete gleich neben mir, er trug keine Sonnenbrille mehr. Seine Augen schimmerten in einem solchen tiefen Grün, in dem ich gerne hier und jetzt ertrunken wäre.
»Mae?«, sagte Sam.
Der besorgte Klang seiner Stimme erinnerte mich an etwas.
»Kannst du mich hören? Geht es dir gut?«
Erinnerungsfetzen sausten in Überschallgeschwindigkeit durch mein Gehirn und vermengten sich zu einem bunten Strudel aus Mosaiksteinchen. Ich atmete nun gleichmäßiger und mit der regelmäßigen Atmung schienen sich auch meine Sinne wieder zu schärfen, meine Gehirnaktivität fuhr von Sparflamme auf Normalleistung hoch. Ich musste mich erinnern, durfte es nicht verlieren. Was war es nur gleich? Ich musste ruhig bleiben, einfach konstant ein und aus atmen. Nochmals versuchte ich die letzten Geschehnisse zu ordnen, diesmal nur gründlicher. Und
Weitere Kostenlose Bücher