Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
Getränk und die Wärme, die sich in mir ausbreitete. Nachdem ich die ganze Tasse leer getrunken hatte, ging es mir besser, mein Puls pochte wieder im normalen Tempo und auch die Müdigkeit war verflogen. Ich überlegte kurz, was ich als Nächstes tun sollte, griff dann rechts neben dem Kissen und schlug mein Tagebuch auf. Neben meinem Radiowecker lag ein silberner Füller. Ich nahm ihn und schrieb den zweiten Eintrag an diesem Tag, um kein Detail zu vergessen.
Ich nahm mir fest vor, Sam am nächsten Tag nochmal auf die Sache anzusprechen, aber es war wie verhext. Nie waren wir ungestört, immer standen andere Leute bei mir oder bei ihm. Egal wiesehr ich es auch versuchte, es ergab sich keine Gelegenheit für ein ungestörtes Gespräch. Mich verwirrte das plötzliche, nagende Gefühl, dass er mir etwas wegen des Vorfalls verheimlichte. Nein, ich hatte nicht nur ein Gefühl, ich wusste es. Ich fragte mich, ob er mir extra aus dem Weg ging. Es machte mich noch wütender, baute eine unsichtbare Mauer zwischen uns. Wir waren uns doch freundschaftlich schon so nahe gekommen, aber diese Nähe zerplatzte einfach, wie ein roter Luftballon in den eine Stecknadel gepikst wurde. Diese Stecknadel spürte ich, ihre feine Spitze stach langsam in mein Herz. Obwohl ich mich zwang, mich so normal wie möglich zu benehmen, entging Adri nicht, dass ich missmutig vor mich hinstarrte und mir dabei auf die Unterlippe biss. Meine Versuche sie vom Gegenteil zu überzeugen, blieben ohne Erfolg.
»Also wirklich Mae«, Adriana stemmte beide Hände in ihre Hüften und kräuselte die Stirn. »Wie lange kennen wir uns schon? Und wie oft konntest du mir erfolgreich etwas vormachen?«
»Ja, ist ja schon gut«, gab ich zu und schlängelte mich mit ihr durch eine Traube von Schülern, die sich vor dem Eingang zur Bibliothek versammelt hatten. Es nützte eh nichts, meine Freundin würde nicht locker lassen, bis ich ihr den Grund meiner miesen Laune verriet.
»Er behandelt mich, als sei ich Luft«, platzte es aus mir heraus. Wuselig durchsuchte ich meinen Rucksack, griff nach dem Buch »Als Dresden im Feuersturm versank«. Unversehens glitt mir die Lektüre aus den Händen und landete wie ein Flugzeug, auf dem imposanten Busen von Frau Böcking, der Bibliotheksmitarbeiterin, die am Tresen der Entleih- und Rücknahmestation saß.
»Vorsicht, junge Dame!«, tadelte Frau Böcking und schaute mich mit weit aufgerissenen Augen über den goldenen Rand ihrer Brille an, die immer viel zu tief auf ihrer Nasenspitze thronte. Seitlich an den Bügeln baumelte eine passende Goldkette, die das unverhoffte Hinabgleiten der Brille im Ernstfall verhinderte. Fast wäre dieser Ernstfall gerade eingetreten, wenn Frau Böcking nicht in letzter Sekunde ihren Zeigefinger gegen das Brillengestell oberhalb ihres Nasenrückens gedrückt hätte. »Gegen fliegende Bücher bin ich nicht versichert. Einmal Rückgabe?«
»Oh, entschuldigen Sie, das war nicht mit Absicht. Ich binmanchmal etwas… ähm ungeschickt. Kommt nicht wieder vor«, versicherte ich ihr und spürte die Schamesröte in meinem Gesicht. Mein Gott, war mir das peinlich. Ein Buch fallen zu lassen war eine Sache, aber wenn dieses Buch Frau Böckings Vorbau als Landebahn in Anspruch nahm, war das mehr als blamabel.
Beim Verlassen der Bibliothek zog ich geräuschvoll die Luft durch meine Zähne. Ich schämte mich immer noch wegen des überaus prekären Zwischenfalls, war aber froh endlich das Buch abgegeben zu haben. Neben mir gluckste es. Adriana presste sich eine Hand vor den Mund und ihr Gesicht hatte die Farbe einer überreifen Tomate angenommen. Dann prustete sie los und ihr schallendes Lachen trieb dicke Tränen in ihre Augen. »Oh, Mae«, keuchte sie. »Himmel war das komisch … wie … die Böcking geguckt hat, als das Buch auf ihrem Mega-Busen flog. Oh mein Gott… ich kann nicht mehr!« Adriana brach erneut in schallendes Gelächter aus und auch ich konnte jetzt nicht mehr ernst bleiben, als sie prustete: »Ich hab gedacht, ich sterbe. War das schlimm. Ich hatte solche Angst lachen zu müssen. Bitte mache das nie wieder, das überlebe ich kein zweites Mal.«
»Das habe ich nicht vor. Ich wäre gerade am liebsten im Erdboden versunken. Leider gab es aber keine Klappe, die sich hätte öffnen können.« Ich ließ die groteske Situation Revue passieren und schüttelte dabei lachend den Kopf. »Wenn mir das nochmal passieren würde, dann würde ich wohl in die Schulgeschichte als einzige Schülerin
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