Eulenflucht - Kay, E: Eulenflucht
nicht zum Surfen herkam? Also ich nicht. Da konnte das Wetter noch so schlecht sein, sie war immer auf dem Wasser.«
»Stimmt, das launische Nordseewetter konnte sie noch nie von einem Ride abhalten.« Bis zum Schluss, dachte ich, brachte es aber nicht fertig dies laut auszusprechen. Eine Weile verharrten wir stumm in unserer Umarmung und hingen jeder unseren eigenen Gedanken nach.
Fast zeitgleich trafen die anderen am Strand ein, Adriana und Fabio auf der Vespa, Sam, Curly und Konrad mit dem Oldtimer. Ich band gerade eine Sonnenblume an den Surfmasten, als sie ankamen. Sam, Adriana und Konrad trugen bereits ihre Neoprenanzüge.Fabio und Curly surften nicht mit uns, sie wollten vom Strand aus zuschauen. Nik hatte für diesen Anlass drei Boards und Segel von der ortsansässigen Surfschule geliehen. Adriana surfte nur sporadisch, sie besaß kein eigenes Brett, genau wie Sam und Konrad. Adriana und Fabio erreichten uns vor den anderen, wir begrüßten einander. Seit der misslungenen Verabredung verhielt sich Adriana zurückhaltender, wenn sie auf meinen Bruder traf. Adriana und Fabio folgten Nik in den Container, um das Surf-Equipment zu holen. Ich sah schräg über meine Schulter zu Sam, Konrad und Curly, die sich mit synchronen fließenden Schritten näherten, als wären sie eine eigene Gilde. Sam und Konrad trugen dunkle Sonnenbrillen, ihre Gesichter wirkten fahl im Gegensatz zu Curlys. Für einen Moment ganz plötzlich veränderte sich das Bild, als ein feiner Sonnenstrahl durch die Wolkendecke brach und auf sie strahlte. Ich hielt inne. Sie liefen immer noch auf mich zu, aber es sah aus, als wären sie wie in einer Collage zusammengefügt, als wären die Hintergründe nicht ordentlich weggeschnitten worden. Ein Wust an Informationen fegte über mich weg, jedes Details brannte sich für den Moment in mein Gehirn. Curlys Gestalt schien Millionen von winzig kleinen tanzenden Partikeln anzuziehen, die sie absorbierte. Ihre Haut erweckte den Eindruck kein fester Bestandteil zu sein, sondern eher einem bewegten Ameisenhaufen zu gleichen. Unser Chemielehrer erwähnte einmal, dass die menschliche Haut, eine Materie aus kleinsten Einheiten darstellte und dies unter einer starken Vergrößerung sichtbar würde, nur sah ich das jetzt ganz ohne Mikroskop. Gleich neben Curly lief Sam, dessen Körper jenes Perlmuttschillern umgab, das mir damals schon aufgefallen war, bei meinem ersten Besuch, als er den Hof überquerte, um mir das Tor zu öffnen. Unter dem dunkelblauen Neoprenanzug zeichnete sich seine Brustmuskulatur ab, darüber trug er sein Amulett, dessen bräunlich eingefasster Stein das Sonnenlicht reflektierte. Konrad folgte einige Meter hinter ihm; dunkle Schatten schwebten um ihn, glitten durch ihn hindurch, verfinsterten sein kantiges Gesicht. Ich schnappte erschrocken nach Luft. Die Eindrücke stürmten mit solch einer Intensität auf mich ein und raubten mir die Fähigkeit, nur einen klaren Gedanken zu fassen. Dann schloss sich die Wolkendecke wieder und der Spuk warvorbei. Ich blinzelte Sam, Curly und Konrad entgegen, aber sie sahen jetzt genauso aus wie immer.
Als Curly bei mir war, umarmte sie mich, während Sam und Konrad mit einigem Abstand vor mir stehen blieben. Sams Mundwinkel zuckten, der Hauch eines Lächelns umspielte sein Gesicht. Ich war mir aber nicht sicher, da die getönten Gläser der Sonnenbrille seine Augen immer noch verdeckten, trotzdem lächelte ich ihn zaghaft über Curlys Schulter an. Konrad stand starr neben ihm und blickte zur Seite, einer Wachsfigur gleich, einzig und allein seine Haare wirkten lebendig, wurden vom Wind zerzaust.
»Hey. Geht’s dir gut?«, wisperte Curly in mein Ohr. Dann wich sie ein Stück von mir zurück. Mir fiel auf, dass Curly erstaunlich gut aussah, irgendwie sehr gesund. Die Tragödie schien keine Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen zu haben, sie sah genauso aus wie immer, wie damals als alles noch in Ordnung war und ich mir über den Tod noch keine Gedanken gemacht hatte.
Ich zuckte die Achseln und verzog den Mund. »Nein. Aber was soll ich tun? Ich kann es nicht rückgängig machen, egal wie sehr ich es mir auch wünsche. Es wird nie wieder so sein, wie es mal war …«
Curly umfasste meine Hände und mit einem Schlag ging es mir besser, als saugte sie meine Trübsal durch ihre Fingerspitzen aus meinem Körper. »Das Leben geht weiter, Mae. Du wirst merken, dass der Schmerz mit der Zeit erträglicher wird.« Ihre Miene war aufmunternd und tröstend
Weitere Kostenlose Bücher