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Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman

Titel: Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Constanze Petery
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prozentual wahrscheinlichste Todesursache in dieser Wüste ist Ertrinken. Die Chance, im Park von einem Auto überfahren zu werden, ist dagegen relativ gering.
    Deshalb muss ich mich gar nicht darum kümmern, wie viele Wägen gerade durch die Stadt rasen, wohin und warum. Ich bin weit weg. Wie ein Prophet in der Sahara. Allein mit den Elementen. Allein mit mir. Ganz nah an mir, an dem wahren Ich.
    Ein Hund bellt. Also doch nicht allein, nie ganz allein.
    Es ist einer dieser Pinscher, ein kleingezüchteter Schnepfenpudel oder Chinchilla oder irgendetwas Ähnliches, das
auf Stängelbeinchen durch den Schnee hüpft, ein aufgezogener Roboter, den man herausholen kann zur Unterhaltung bei Dinnerpartys und danach wieder dem eigens dafür aus dem Ostblock bestellten Haussklaven übergibt, Vorsicht zerbrechlich. Nach ein paar Jahren wird die Mode wechseln von braun zu schwarz, der Hund wird durch ein neueres Designermodell ersetzt und ausgesetzt am Rand einer anonymen Autobahn, wo er bald stirbt, sein Miniorganismus hätte sowieso nicht mehr lange mitgemacht bei all dem Kläffen und dem hektischen Herumgerenne.
    Aber davon weiß er natürlich noch nichts, noch lebt er zwischen Kaviarhundehäppchen und Gassigehen im Trenchcoat für verzogene Haustiere, erhältlich in jedem guten Fachgeschäft für die Hälfte des Durchschnitteinkommens eines normalen Bürgers.
    Der Spaziergang des Tieres zieht sich zickzackig durch den ganzen Park, überall kleine runde Pfotenlöcher und Mulden, in denen es sich wie besessen gewälzt hat.
    Jetzt kommt es in einer geraden Linie auf mich zu, Jagdinstinkt aktiviert, Zähne gefletscht und Schwanz freudig in die Höhe gereckt. Eine kleine Rakete, die den Feind, der das eigene Territorium durch Menschengeruch verschandelt, treffen und vernichten wird, zerstören, Gefangene werden nicht gemacht, Pardon wird nicht gegeben.
    Ich will nicht als lebender Gummiknochen enden.
    Auch wenn mich das unsichtbare Herrchen oder Frauchen für einen hysterischen Tierfeind hält, ich stehe dazu, dass mir diese Situation Angst macht. Der Hund ist kleiner als mein Schuh, ja. Er will spielen, vielleicht. Man muss sich diesen Dingen eben stellen. Nein. Lieber weglaufen.
    Gut, vielleicht habe ich mehr Angst vor dem Halter als vor dem Hund.

    Ich habe Angst vor seinem Blick. Menschen haben so kalte, leere, lieblose Augen.
    Mich hat nie jemand geliebt. Das weiß ich jetzt. Meine Mutter hat mir Liebe nie beigebracht.
    Ich weiß, dass du mich nicht magst.
    Dass keiner mich mag. Dass keiner mich sehen will. Ich gehe ja schon. Ihr müsst mich nicht treiben, nicht drängeln, nur einmal nicht, bitte, ich stehe schon am Abgrund, und ich werde fallen. Wollt ihr mich wirklich zerbrechen sehen? Ich werde springen, keine Sorge. Werde mich auf das Geländer setzen. Meine Finger werden nass sein, verschwitzt, ich bin noch nicht tot. Meine Arterien werden sich zusammenziehen, und meine Schleimhäute werden brennen, wenn ich die Luft des Abgrunds einatme. Wenn ich dann erst den einen, dann den anderen Fuß von der Erde löse, frei schwebe und mich auf meine Arme verlassen muss, dass sie nicht abgleiten von den Eisenstangen, die andere Menschen fernhalten von dem Graben, dem gähnenden Graben, der Leere, der Freiheit.
    Ich bin von der großen Wiese in einen kleinen Wald gelangt. Zwischen kahlen Baumgerippen arbeite ich mich vor durch das Unterholz. Steifgefrorene Herbstblätter und leere Nussschalen brechen knackend mit jeder meiner Bewegungen. Alles übertönend braust hinter dem Waldschatten schnelles Wasser, sich überschlagend, drängend, tief und kalt. Wieso ist es nur so laut?
    Hinter dieser Biegung muss das Wehr liegen, an dem der natürliche Fluss in ein künstliches Becken gezwungen wird. Er weigert sich, wird reißend, menschenverschlingend, drängt sich durch enge Gitter, an denen mitgezerrte Äste zu einer mehligen Masse gepresst werden. Wie würde ein Schädel nach einer Reise durch diese Höllentore aussehen? Was wäre
wohl der letzte Gedanke, den man denken kann, bevor das Wasser die Lunge platzen lässt und die Kopfdecke knirschend nachgibt? Oder ist dann endlich Ruhe in den Hirnwindungen, endlich nur noch leben, ein letztes Mal vor dem Ende, nicht mehr grübeln, den Kopf nur noch von außen zerbrechen, nicht mehr leiden, sondern lachen, dort unter dem Wehr im freundlichen Wasser, das plötzlich ganz leise und zart wird, mich liebkost. Mich liebt.
    Das Geländer des Wehrs ist niedrig und ungesichert.

19
WEHRLOS
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