Eure Kraft und meine Herrlichkeit - Roman
tränenfeuchte Stirn das Glas des Wassers durchteilt, der Körper noch trocken und die Daunen im Anorak noch mitten im Traum vom Fliegen. Wenn die Tauben mich so sehen könnten. Wären sie nicht stolz auf mich? Ein wenig neidisch? Ich bin so schön, es ist ein schöner Teil.
Ich liebe ihn, diesen Teil.
Und ein Teil von mir tanzt.
Tanzt durch die Wogen und die Wellen, durch das Eisgrau und Alggrün und das Beige von alten Landkarten und das Blau glattgeschliffenen Glases und das Purpur der Wut und des Wahnsinns, in dem kleine Luftblasen als Perlschmuck hängen, bis zum tiefblauen Grund. Dort ist es so ruhig. Die Wellen sind nur noch ein leiser Windhauch, der die Blütenblätter meines Haares davonträgt, bis ich kahl bin unter Wasser. Bis ich nackt bin, zupft er an meinen Kleidern, schält sanft den Anorak ab, der schon so schwer geworden ist von der Nässe. Er brennt in meinen Augen, aber ich kann sie nicht schließen. Auch die Augenlider weht er fort, weit weg von mir, mit Wimpernkranz und korallenroter Tränendrüse, durch das Wehr fortgerissen, fort, fort, fort. Da fliegt ein erstes Hautpartikel mit seinem fransigen Rand, totes Leben, fort, und da folgt ihm die erste Sehne, wie ein Oktopusgreifarm, und eine Rippe, und noch eine, wie eine aufgelöste Klaviertastatur,
fort, ohne Melodie, ohne Musik, die letzten Akkorde hallen durch das Wasser und lachen mir ein letztes Mal zu. Da schwimme ich an mir vorbei, ich scheine nichts zu bereuen, sondern treibe still und sanft dem Grund zu und dann, ganz unten angekommen, in Richtung Wehr, weil der Sog mich sachte zupft und lockt und will und liebt. Und meine Lippen teilen sich, zeigen die Rundungen der Schneidezähne, die an so scharfe Eckzähne grenzen, zeigen die blauen Venen und Adernklumpen am Gaumen, zeigen die Mondkrater in der Zunge, zeigen die Luftröhre, wie sie sich an die Speiseröhre schmiegt und kuschelt, zeigen die Lunge mit ihren Bällen und Fasern und Fäden, an denen sich die Luftperlen reihen. Und die Perlenschnur bricht, und eins nach dem anderen lösen sich die runden, funkelnden Lebenszeichen und steigen durch die Farbschichten nach oben, unweigerlich nach oben an die kalte, kalte Luft. Hier unten ist es warm. Mit jeder verabschiedeten Luftblase wird es wärmer, das Fieber steigt mir ins Gehirn und verbrennt mir die letzten Sätze, glüht sich durch die verbliebenen Strukturen. Jetzt ist die letzte auf ihre Reise gegangen. Da. Ich kann sie kaum noch sehen, kann das Funkeln dieses letzten, verspäteten Bläschens nicht mehr von der Strömung unterscheiden. Ich bin endlich allein. Endgültig allein. Da steigt mein rechter Lungenflügel in die Höhe, kreist und wird schon zerfetzt in Zellen und Teile und nichts. Mein linker Lungenflügel folgt, schwebt und füllt sich mit Wasser, mit schwerem, braunem Wasser, das ihn hinabzieht. Da. Ist er genau vor mir. Und da ist auch er fort. Und es ist wieder kalt. Ich bin im Dezember, am Tag nach Weihnachten, in den Fluss gesprungen und ertrunken.
Ich bin tot.
Aber ein Teil von mir denkt.
Denkt, dass man von hier oben auf der Wehrbrücke den Winter gar nicht sehen kann. Die Bäume sind kahl, aber an den Sträuchern, die in ihrem Schatten dem Wind entkommen, hängen noch ein paar braune Blätter, vielleicht auch nicht die eigenen, sondern die, die die größeren Pflanzen abgeworfen, wie eine Decke auf sie geworfen haben. Sie bilden einen herbstlichen Wall, eine Art Sichtschutz um den Fluss herum, eine undurchdringliche Mauer, die nur ich durchbrechen konnte, weil ich verloren bin. Weil ich den Ästen nicht zugehört habe, die mich vor dem Fluss gewarnt haben, die mich zurückhalten wollten. Und ich bin ja auch nicht gesprungen. Oder? Ich bin mir nicht ganz sicher, welcher Teil hier oben auf der Mauer steht und hinabsieht. Ist es der echte, der wahre, ist es Anita? Der Schnee hat hier keinen Halt gefunden, ist in den Schwammstein, den porösen Beton gesickert. Oder er ist tatsächlich niemals hier angekommen, vielleicht geht der Schutz der Büsche unsichtbar weiter, eine gläserne Kugel, in die ich gefallen bin und aus der ich nicht mehr herauskann. Gefängnis oder letzter Ausweg? Der Winter hat hier keine Spuren hinterlassen, weil er nie hier war. Das Wasser vertreibt jeden Gedanken an ihn, saugt ihn auf und spült ihn fort.
Was, wenn der Winter nie dagewesen wäre? Was, wenn nie eine Jahreszeit dagewesen wäre? Was, wenn nie etwas passiert wäre?
Es ist aber passiert. So vieles ist passiert. Und ich bin
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