Euro Psycho
immer, scheiß auf Taktik. Mag ja sein, dass einige Spieler den Kopf voll strategischer Feinheiten haben. Ich nicht. War nie mein Ding. Ich bin da völlig unkompliziert, das komplette Fußball-Paket eben.
Denn es gibt den Ball, und es gibt das Netz.
In unserem Sport geht es um Leidenschaft. Das ist keine Raketentechnik, oder? Keine Gehirnchirurgie.
Bin ich deswegen ein schlechterer Spieler? Einige würden das behaupten. Die vom Kontinent denken das vielleicht. Die Italiener, durchdrungen von taktischem Wissen – unfähig, aufs Tor zu schießen, ohne Sunzis Kunst des Krieges durchzublättern –, fluchen vielleicht über die unkomplizierte Haltung eures Kev. Und die Dermaßen-Technik-fixiert-dass-wir-ein- PDF -zum-Pissen-brauchen-Spanier finden das womöglich ebenfalls beklagenswert. Zugegeben, gut möglich, dass ich von diesen beiden erstklassigen Fußball-Kulturen was lernen kann. Aber eins darf man nicht vergessen. Man muss sich selbst treu bleiben. Muss sich so nehmen, wie man ist.
Also. Sich pausenlos mit Technik rumschlagen? Nein.
Das Spiel mit taktischen Überlegungen lähmen? Ohne mich.
Ich bin ein Kämpfer, kein Technokrat.
Auf dem Platz herrscht Krieg, er ist keine Theaterbühne. Ich bin kein Künstler, ich bin ein blutrünstiges Arschloch.
Irgendwelche Beschwerden?
Na also. Kommando zurück.
Doch er hört nicht auf, unser Hakhi Bahta.
»Die Lücke«, ruft er wohl. »Spiel in die Lücke.«
Ich verpass dir gleich eine Lücke, Hakhi, wenn du nicht die Fresse hältst und mich mein Spiel machen lässt. Der Gegner lässt den Ball laufen. Außerdem sind die Schalker gut organisiert. Mit einem klasse Torwart, an dessen Händen der Ball klebt wie Sperma an einer Kordhose.
Dazu eine solide Abwehr. Jedenfalls solide genug.
Und um ehrlich zu sein – um ehrlich und fair zu sein –, wir können froh sein, dass wir mit null zu null in die Halbzeitpause gehen. Ich bin in der ersten Hälfte unter meinen Möglichkeiten geblieben. Aber warum? Schalke 04 ist gut, aber nicht gut genug, um einen starken Kev aufzuhalten. Es liegt nicht an ihnen, sondern an mir. Ich rufe mein Potenzial nicht ab.
In der Kabine fliegen die Fetzen. Die Fetzen.
Als wir zum Wiederanpfiff zurückkommen, legen sich unsere Fans in der Bancada Sangres mächtig ins Zeug, schwenken ihre Fahnen und brüllen wie ein Horde verrückter Langusten, die auf der Festung ihrer Krabben-Todfeinde herumtrampeln. Ich frage mich, warum dieser Abend – mein drittes Champions-League-Finale – mich nicht zu Höchstleistungen anstachelt.
Denn das sollte er. Ich sollte bereit dafür sein.
Wie soll ich nächste Saison die Nationalmannschaft bei der Euro 2012 zum Sieg führen – was ich fraglos tun werde –, wenn ich für diese glanzvollen Clubabende nicht mein ganzes Können abrufen kann? Liegt es an den Problemen mit meinem Lifestyle? An der Geldstrafe? Oder an meinem Auftritt als Würger?
Vielleicht. Oder ist es die Scheidung, die meine Leidenschaft bremst?
Das darf nicht sein. Denn ich bin ein Profi, und auf dem Platz sollte ich nur eine Sache im Kopf haben. Also. Leg einen Zahn zu. Zeit, dem Gegner sein Spiel aufzuzwingen.
»Aaaahhhhhhhhh«, brülle ich völlig grundlos und rutsche ihrem ausweichenden Dribbler Jurado in die Füße, berühre mit der Fußspitze den Ball, so dass er von seinem Schienbein abprallt, in den Lauf von Wally de Groot, unserem durchsetzungsstarken Linksaußen.
Schön. Wir sind in Ballbesitz. Außerdem habe ich jetzt einen klaren Kopf. Besser so.
Die Augen auf den Ball gerichtet, rapple ich mich auf und folge de Groot, während dieser Atsuto Achida, ihren japanischen Nationalspieler, der 2010 von Kashima Antlers gekommen ist, einen halben Meter abhängt. Nachdem er Achida umkurvt hat, läuft er zur Torauslinie. Ich halte mich am Rand des Strafraums auf, während unsere Jungs Bédard und Danzo vor mir in den Sechzehner eindringen. Ich bleibe im Rückraum, folge meinem Fußballerinstinkt. Was ich bereue, als de Groot, statt zu mir an die Strafraumgrenze zu passen, den Ball in die Gasse der Ungewissheit schlenzt. Wenn man so will.
Der Ball segelt nach innen Richtung Tor, eine Spielertraube versucht, mit dem Kopf an das Leder zu kommen, Verteidiger und Angreifer machen sich lang, geben alles, doch ihr Torwart Manuel Neuer kommt heraus, um ihn herunterzupflücken. Unerklärlicherweise verfehlt er den Ball mit einem seiner ausgestreckten Riesenhandschuhe und plumpst ins Gras.
Stöhnend landet Neuer auf dem Boden, wo er
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